Bürgermeister hilft Flüchtlingen, belebt sein Dorf wieder und wird dann festgenommen

05.10.2018 12:12

Domenico Lucano gilt in Italien als Vorkämpfer für Integration. Als Bürgermeister hauchte er mit Hilfe von Flüchtlingen dem Örtchen Riace wieder Leben ein - nun wurde er festgenommen und die Kritiker laufen Sturm.

Domenico Lucano ist nicht nur in Italien eine bekannte Persönlichkeit. Der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Riace in Kalabrien ganz im Süden gilt vielen als leuchtendes Beispiel, wie man mit viel Engagement und Offenheit Flüchtlinge integriert und so einem absterbenden Dorf wieder Leben einhaucht. Aber im Moment steht Lucano wegen einer anderen Geschichte im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte: Der 60-Jährige, der im Ort nur Mimmo e Curdu, Mimmo der Kurde, genannt wird, ist jetzt verhaftet worden und steht unter Hausarrest. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet: Beihilfe zur illegalen Einwanderung und finanzielle Unregelmäßigkeiten bei der Müllabfuhr. Seitdem ist Italien gespalten. Kritiker vermuten hinter der Festnahme politische Motive.

Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf abgehörte Telefongespräche Lucanos. In einem Telefonat empfahl er demnach einer Nigerianerin eine Scheinehe, um an eine Aufenthaltsgenehmigung zu kommen. "Wissen Sie, was meines Erachtens die einzige Möglichkeit ist?", fragte der Bürgermeister der Staatsanwaltschaft zufolge. "Dass Sie heiraten, so wie Stella es gemacht hat. Stella hat Nazareno geheiratet. Ich bin für das Standesamt zuständig, ich kann sofort eine Eheschließung mit einem italienischen Staatsbürger vornehmen." Hinweise darauf, dass er Geld unterschlagen hat, existieren bislang nicht.

Die wundersame Geschichte begann vor 20 Jahren

Begonnen hatte die wundersame Geschichte vor 20 Jahren, wie die"Süddeutsche Zeitung" schreibt. Da nahm Lucano selbst 11 von 184 Kurden auf, die in das Dorf gekommen waren. Sie stammten aus dem Irak, Syrien und der Türkei. Sein Motiv war offensichtlich Mitgefühl. Lucano sah aber auch die Chance, die die Flüchtlinge dem Dorf boten. Denn Riace war eine absterbende Gemeinde. Viele Jüngere waren ausgewandert. Das Restaurant und die Schule waren dicht, zahlreiche Häuser standen leer. Als Lucano 2004 zum Bürgermeister gewählt wurde, rief er die Ausgewanderten an und fragte, ob sie den Neuankömmlingen ihre leerstehenden und verfallenden Häuser überlassen würden. Das taten sie.

In der Folge blühte der Ort wieder auf. Heute hat Riace 2300 Einwohner, 600 davon sind ehemalige Flüchtlinge. Die Dorfschule wurde wieder geöffnet, von Flüchtlingen und Dorfbewohnern neu eröffnete Geschäfte und Ateliers zogen Touristen an. 2010 kam Lucano bei der Wahl der besten Bürgermeister weltweit auf Platz drei, 2016 wurde er von der Zeitschrift "Fortune" in die Liste der 50 einflussreichsten Persönlichkeiten aufgenommen, und selbst der Papst lobte ihn. Der deutsche Regisseur Wim Wenders drehte einen Film über ihn, ein italienischer Fernsehfilm soll im Februar ausgestrahlt werden.

Menschenrechtler in Italien kritisieren Verhaftung

Und nun die Verhaftung. Linkspolitiker und Menschenrechtsaktivisten kritisierten die Festnahme als politisch motiviert. "Die Regierung geht mit dieser juristischen Ermittlung (...) den ersten Schritt der Verwandlung von einer Demokratie in einen autokratischen Staat", sagte der Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano, der sich für Rechte von Migranten einsetzt. In den sozialen Medien gab und gibt es eine Solidaritätswelle mit dem Hashtag: #iostoconmimmo (Ich stehe hinter Mimmo). 

Doch nicht alle politischen Lager bedauern die Festnahme - im Gegenteil. In Italien regiert seit Juni eine Koalition aus rechtspopulistischer Lega und Fünf-Sterne-Protestbewegung, die einen harten Anti-Migrations-Kurs fährt. Für diejenigen, die die Vorgehensweise gegen den Bürgermeister von Riace für richtig halten, höhnte der Lega-Chef Matteo Salvini stellvertretend auf Facebook: "Wer weiß, was jetzt Saviano und alle anderen Gutmenschen sagen, die Italien wieder mit Migranten füllen wollen."

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