Der Kampf gegen Müll und Massen: Müssen wir die Berge besser schützen?

19.11.2019 14:31

Der Weg auf den Mount Everest ist gepflastert mit Müll und Leichen. Auf den Mont Blanc schleppen Bergsteiger Whirlpools für ein Selfie. Der bayrische Königssee wird zum Treffpunkt für Influencer. Die Bergwelt leidet unter dem Ansturm der Massen – wie können wir sie besser schützen?

Die Berge - lange ein Mythos, Heimat von Drachen, Zwergen und anderen Fabelwesen. Ein gefährlicher Ort, an den der Mensch nicht hingehört, die meisten Gipfel galten lange als unbesteigbar.

Und heute? Bilden sich am Mount Everest Schlangen, ein Nepalese besteigt in nur sechs Monaten und sechs Tagen alle Achttausender der Welt. Jüngst schleppte der Brite Matthew Paul Disney eine Rudermaschine auf den Mont Blanc – für einen PR-Gag. Wurde aus dem Mythos Berg eine Marketingplattform? Welche Folgen hat das?

Jener Brite brachte Jean-Marc Peilex, Bürgermeister von Saint Gervais am Fuße des Mont Blancs, endlich die mediale Aufmerksamkeit, für die er seit Jahren kämpft. Er hat einen offenen Brief geschrieben, in dem er Präsident Emmanuel Macron darum bittet, den höchsten aller Berge Europas nicht mehr für alle frei zugänglich zu machen. Seitdem kommen Fernsehteams nach Saint Gervais, alle wollen ein Interview mit Peilex. Und der kann erzählen – vom Mont Blanc als Segen für seinen Ort, aber auch als Fluch.

Der Mont Blanc - wenn der Whirlpool mit den auf den Gipfel muss

Das Ungetüm aus Granit in den französischen Alpen ist ein Traum vieler Alpinisten. Plötzliche Wetterumschwünge, 4810 Meter Höhe, Schnee und Eis machen den Aufstieg zu einem Wagnis. Er ist einer der Seven Summits, jener sieben Gipfel also, die als besondere Herausforderung für passionierte, erfahrene Alpinisten gelten. Er ist aber auch der einzige der sieben, der frei für jedermann zugänglich ist – das bringt den Berg und besonders die Menschen in Gefahr.

Denn: Bergsteigen ist im Trend - und oft mehr Event, als ernstzunehmende Herausforderung. Es komme vielen auf das Selfie auf dem Gipfel an, das auf sozialen Netzwerken gepostet werden kann, klagt Bürgermeister Peilex. Und diese Jagd nach Likes nimmt mitunter skurrile Züge an: Besagte Rudermaschine blieb – in einer Hütte untergestellt – auf dem Berg. Der Brite behauptet, wegen des Wetters habe er die Tour abbrechen müssen. Peilex sagt, er habe schlappgemacht und will ihm die Bergung der Rudermaschine in Rechnung stellen.

Nicht die Erfahrung, auf dem höchsten Gipfel Europas zu stehen, lockt viele Bergsteiger, sondern die Aufmerksamkeit, die sie sich davon erhoffen. Eine Gruppe schleppte einen aufblasbaren Whirlpool auf den Gipfel, um daraus ein Selfie zu posten, eine andere drehte ein Musikvideo – mit Gitarre und Kontrabass. Als ein Amerikaner mit seinen beiden Kindern im Alter von neun und elf Jahren beinahe von einer Lawine mitgerissen wurde, rechtfertigte er sich gegen die öffentliche Kritik: Er habe doch lediglich den Weltrekord des jüngsten Bergsteigers auf dem Gipfel brechen wollen.

Schneller, höher, weiter. Und wenn das nicht klappt, gibt es ja noch die Helikopter der französischen Bergwacht – und deren Einsätze sind für die Geretteten prinzipiell kostenlos, so will es das französische Gesetzbuch. Lange wurde auf die Vernunft und Erfahrung derjenigen vertraut, die es wagten, einen Berg wie den Mont Blanc zu besteigen. Früher habe es alle vier bis fünf Jahre Zwischenfälle gegeben, heute seien es zehn bis zwanzig im Jahr, sagte Peilex dem ZDF. Auch deshalb fordern er und die Bergführer am Mont Blanc mehr Regulierungen vonseiten des Staates.

Das Matterhorn - ein Mythos, der 500 Menschenleben kostete

Was der Mont Blanc für Frankreich ist, ist das Matterhorn für die Schweiz. 4478 spitz zulaufende Meter festes Gestein, ganzjährig bedeckt mit Schnee und Eis jagen Furcht und Respekt ein – wecken aber auch den Traum, einmal dort oben zu stehen. Dort hat die Ruhmessucht der Gipfelstürmer Tradition: 1865 lieferte sich der Brite Edward Whymper mit einer italienischen Seilschaft ein wahres Wettrennen um die Erstbesteigung, Berichten zufolge soll Whymper sich für die letzten Meter sogar aus der Seilschaft ausgebunden haben und sei gerannt, um als erster Mensch auf dem Gipfel zu stehen.

Den Ruhm jedoch heimsten nur drei der sieben Erstbegeher ein. Die anderen stürzten beim Abstieg in den Tod und bilden damit den Auftakt für tragische Ereignisse, die immer mehr zum Alltag werden: 2500 bis 3000 Bergsteiger versuchen sich jede Saison am Gipfel, über 500 Menschen ließen dabei seit Whympers Gipfelsprint ihr Leben. Ungefähr 80 Mal fliegt der Rettungshelikopter pro Jahr zum Matterhorn.

Oft sind die Bergsteiger nicht gut genug ausgestattet, oft fehlt es an Erfahrung oder der richtigen Begleitung: Zwar empfehlen Experten, den Aufstieg nicht ohne Bergführer zu machen, viele wagen es trotzdem – auch der vermeintlich einfachste Weg zum Gipfel, über den Hörnligrat ist im Gesteinlabyrinth des Berges nur schwer zu finden. Wer den Einstieg verpasst, verschlägt sich leicht, verliert Zeit. Wer dann trotzdem noch auf den Gipfel will, der kann leicht in einen Wetterumschwung oder in die Dunkelheit geraten.

Aber auch die schiere Masse an Bergsteigern birgt Gefahren – kreuzen sich die Wege von absteigenden und aufsteigenden Seilschaften an exponierten Stellen im Berg, kann es gefährlich werden. Zu vermeiden ist das allerdings kaum, wenn die Bedingungen perfekt sind, versuchen bis zu 200 Bergsteiger an einem Tag ihr Glück.

Der Mount Everest - acht Kilogramm Müll muss jeder Gipfelstürmer wieder mitbringen

Er ist der König aller Berge, der höchste Punkt, auf dem ein Mensch auf dieser Erde stehen kann: auf 8848 Metern. Zuerst oben waren 1953 Edmund Hillary und Tenzing Norgay. Der wahre Everest-Boom ab den Achtzigerjahren ist auch Bergsteiger-Ikonen wie Reinhold Messner zu verdanken, der als Erster ohne Sauerstoff auf dem Gipfel ankam und den Everest-Traum populär machte: Waren es in den ersten 27 Jahren nach der Erstbesteigung 99 Menschen, die den Aufstieg schafften, wagten es 1993 erstmals mehr als hundert Bergsteiger in einem Jahr. In der Rekordsaison 2007 schafften es 604 Bergsteiger nach oben.

Die kommerzielle Massenbesteigung fordert seinen Preis: Elf Menschen starben allein im April und Mai diesen Jahres am höchsten Berg der Welt. Die Leichen von rund 300 Verunglückten wurden nicht geborgen - zusammen mit Unmengen Müll sind sie eindrucksvolle Zeugen menschlicher Präsenz an einem Ort, der lebensfeindlicher kaum sein könnte. Eine Organisation tibetischer Bergsteiger versucht, zumindest das Ausmaß einzudämmen: 2018 holten sie fast zehn Tonnen Müll vom Berg. Kaputte Zelte, Gaskattuschen, menschliche Exkremente – was unnütz geworden ist, wird zurückgelassen, jedes Gramm im Rucksack wird am Berg zum Kilo.

Doch die Behörden reagieren, auch weil Bilder von langen Schlangen am Ruf des großen Mysteriums Everest kratzen. Das Basislager für Touristen wurde aus ökologischen Gründen um einige Kilometer verlegt, die Zahl der Gipfelbesteigungen pro Jahr auf 300 begrenzt. Bereits seit einigen Jahren müssen Bergsteiger ihren Müll mitnehmen: Kommen sie heil am Fuße des Berges an, müssen sie mindestens acht Kilogramm Müll mit sich tragen – sonst droht eine Geldstrafe. Neu ist auch die Müllgebühr von 1.500 Dollar pro Abenteurer.

Königsbachfall - tödlicher Instagram-Hotspot

Ähnliche Probleme – wenn auch in ganz anderen Dimensionen – gibt es in Deutschland. „Wir haben hier eher die Hüttenproblematik“, sagt Thomas Bucher, Pressesprecher des Deutschen Alpenvereins und meint: Viele Bergsteiger lassen ihren Müll rund um die Berghütten einfach liegen. Dort gibt es oft keine Mülleimer, die Hüttenbetreiber müssten eigenständig den Müll aller Gäste entsorgen; eine Müllabfuhr fährt nicht durch die Alpen. „Deshalb verstecken die Leute ihren Müll regelrecht in den Hütten“, klagt Bucher. Insgesamt jedoch werde weniger Müll in den Bergen zurückgelassen, trotz steigender Besucherzahlen: „Die Menschen haben verstanden, wie schön und damit auch schützenswert unsere Natur ist."

Wie gefährlich sie sein kann, ist bei vielen Bergfreunden noch nicht angekommen. Seit 2006 hat sich die Zahl der jährlichen Rettungseinsätze der bayrischen Bergwacht im Sommer mehr als verdoppelt. Das macht Roland Ampenberger, Leiter des Bergwacht-Zentrums, vor allem an zwei Faktoren fest: Die Zahl der Bergsteiger, aber vor allem ihre Hilfsbedürftigkeit sei gestiegen: „Die Bandbreite ist einfach viel größer geworden: Wir haben alte Menschen, Kinder, sogar Kinderwagen in den Bergen. Das merken wir bei unseren Einsätzen.“

Der Ruhm, der mit einer Gipfelbesteigung einhergeht, sei schon immer Teil des Bergsteigens gewesen, meint Ampenberger. Dennoch gibt es bayrische Parallelen zur verrückten Jagd nach medialer Aufmerksamkeit an Everest oder Mont Blanc. Für ein tolles Foto auf Instagram wagen viele mehr als sie sollten. Paradebeispiel hierfür: der Königsbachfall in Oberbayern. Er ist relativ einfach zu erreichen und bietet einen szenischen Ausblick über den Königssee. Unter dem Hastag #königsbachfall posten Influencer Fotos von sich im Gumpen unterhalb des Wasserfalls. Hunderte Nutzer liken die Posts – ist etwas nackte Haut zu sehen, eher Tausende.

Die Folgen können dramatisch sein: Im April 2019 starben zwei 21-jährige Touristen aus Bautzen am Instagram-Hotspot Königsbachfall. Gerade im Frühjahr kann dieser sehr gefährlich werden, Schmelzwasser aus den Bergen schießt in den Gumpen und bildet eine Wasserwalze – einmal darin gefangen, gibt es fast kein Entkommen.

Schrecksee - Partylocation auf 1813 Metern

Rund 300 Kilometer westlich, in dem Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen, kämpft der Schrecksee mit ähnlichen Problemen. Auf 1813 Metern Höhe gelegen, führt nur ein anspruchsvoller Aufstieg nach oben. Den aber nehmen Feierwütige gerne in Kauf, um den Bergsee in eine Partylocation zu verwandeln. In lauen Sommernächten zelten bis zu 80 Menschen direkt an den Ufern, mitgebrachte Soundsysteme und meterhohe Lagerfeuer sorgen für Festival-Atmosphäre.

Seit sich solche Bilder auf Instagram verbreitet hatten, reisen Menschen aus ganz Deutschland, aber auch dem Ausland an, um eine Nacht im Allgäu zu feiern.

Und wer feiert, der hinterlässt Spuren. Naturschützer klagen über Massen zurückgelassener Verpackungen und Flaschen, überall um den See sei die Notdurft der Feiernden verteilt. Deshalb greift die Alpinpolizei hart durch: Wer beim Wildcampen am Schrecksee erwischt wird, zahl ein Bußgeld von 300 bis 500 Euro.

Einen vollen Arbeitstag kostet ein Kontrollgang am See die Beamten. Anders jedoch scheint Naturschutz in den deutschen Alpen jedoch nicht zu funktionieren: Handzettel mit Informationen zum Naturschutz um den Schrecksee verpufften wirkungslos.

Quelle