Die Ampel blickt schon ins nächste, tiefe Loch

01.02.2024 10:28

Nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt? 2025 drohen noch tiefere Löcher. Eine Grubentour vor der Generaldebatte an diesem Mittwoch.

Leicht gemacht habe man es sich nicht, das räumt Christian Lindner gleich zu Beginn ein. Selten sei ein Haushalt so intensiv beraten worden, sagt er im Bundestag. Trotzdem ist der Finanzminister überzeugt: "Es hat sich gelohnt." 

Dienstagmorgen, die Ampel-Koalition macht sich endlich auf den Weg in die "finanzpolitische Realität" – sagt Lindner. Der Etat 2024 steht, jetzt aber wirklich. In dieser Woche soll der "Gestaltungshaushalt", wie Lindner das mühsam erstrittene Machwerk bezeichnet, verabschiedet werden. 

Fragt sich nur, wie lange die hörbare Erleichterung darüber anhält.

Haushalt: Schon jetzt zeichnen sich kommende Lücken ab

Schon jetzt zeichnen sich erhebliche Budgetlücken für die kommenden Jahre ab. Könnte der Haushalt 2025 den eigentlichen Beweis erbringen, ob der Schwur zwischen SPD, Grünen und FDP hält? Diese Frage wird von Ampel-Abgeordneten aufgeworfen. Sogar von einer Stunde der Wahrheit ist die Rede. 

Denn wieder klafft ein Milliardenloch, das gestopft werden muss. Und folgt man der Indizienkette, steuert die Koalition auf einen erbitterten Verteilungskampf zu – der die jüngste Einsparung von 17 Milliarden Euro wie eine Kabbelei um Kleckerkram erscheinen lassen könnte. 

Läuft alles nach Plan, steht bis Sommer der Haushaltsentwurf 2025. Darin wird üblicherweise auch die finanzpolitische Entwicklung der kommenden Jahre mit einbezogen. Das macht die Verhandlungen nicht einfacher, ganz im Gegenteil. Es deuten sich viele Sollbruchstellen an.

Der Klima- und Transformationsfonds

Der Haushaltsstreit der vergangenen Wochen geht zurück  – man hat es fast schon wieder vergessen – auf drei Buchstaben und ein Urteil. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben einen Buchungstrick kassiert, mit dem die Ampel gleich zu Beginn ihrer Amtszeit 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds geschoben hatte. Dieser Sondertopf, kurz KTF, soll den ökologischen Umbau des Landes finanzieren. Und er bleibt auch für den Haushalt 2025 ein Problemfall. 

Auf bis zu 15 Milliarden Euro schätzen Haushaltspolitiker der Koalition die Lücke im KTF für 2025. Der Fonds hat zwar auch nach dem Verfassungsgerichtsurteil noch eine Rücklage von etwa 30 Milliarden Euro, er hat Einnahmen aus der CO2-Bepreisung – und doch sind die Aufgaben größer als die verfügbaren Mittel. Schließlich lautete die Standard-Antwort der Ampel bei sämtlichen Vorhaben, die auch nur zwischen den Zeilen nach Klimaschutz klangen: Das zahlen wir aus dem KTF.

Der Fonds fördert unter anderem den Heizungstausch von privaten Haushalten. Aus ihm kommen die Milliarden, mit denen Chipfabriken in Deutschland angesiedelt werden sollen. Er übernimmt nun die EEG-Kosten für Wind- und Solarparks. Und eigentlich soll aus dem KTF auch das Klimageld gezahlt werden, das SPD, Grüne und FDP den Deutschen in Aussicht gestellt haben. Eigentlich. Ob dieser Ausgleich für steigende CO2-Preise überhaupt noch in dieser Wahlperiode kommt – fraglich. Womit er bezahlt würde? Noch fraglicher.

Das Zwei-Prozent-Ziel

Und noch eine Frage: Findet die "Zeitenwende" bald ein jähes Ende? Das von der Bundesregierung ausgelobte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr geht allmählich zur Neige. Mehr als 60 Milliarden Euro seien in Verträgen gebunden, sagte die Chefin des Beschaffungsamts zum "Handelsblatt". Die Gelder fließen, das ist die gute Nachricht. 

Die schlechte: Eine "kriegstaugliche" Armee hat Verteidigungsminister Boris Pistorius damit noch lange nicht. Und auch wenn Deutschland in diesem Jahr erstmals das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen wird, sind dafür immer noch rund 20 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen nötig, um den regulären Wehretat (52 Milliarden) aufzustocken. Was passiert also, wenn das Geld aufgebraucht ist?

Kanzler Scholz hat versprochen, das Nato-Ziel dauerhaft einzuhalten – in den 20er Jahren, auch in den 30er Jahren. Perspektivisch muss der Wehretat also massiv wachsen, um den Bedarf zu decken. Schon im Sommer vergangenen Jahres taxierte Wirtschaftsexperte Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln die Lücke für die Zeit nach dem Sondervermögen auf fast 40 Milliarden Euro – und das jedes Jahr. Andere halten eher eine Summe von rund 25 Milliarden Euro für notwendig. So oder so: Es ist eine Menge Geld. 

Daher wird in Berlin schon über ein zweites Sondervermögen für die Bundeswehr diskutiert, um für Planungssicherheit zu sorgen. Eine politische Initiative dafür gibt es bislang nicht. Aber ein weiterer Extratopf, der im Grundgesetz abgesichert ist, wäre möglicherweise die eleganteste Lösung, heißt es. So ließe sich erneut die Schuldenbremse umgehen. 

Die Ukraine-Hilfen

Im Kalender der Ampel gibt es ein Datum, vor dem sich gerade viele fürchten: den 5. November, den Tag der US-Präsidentschaftswahl. Sollte Donald Trump gewinnen, so die Sorge, würden sich alle Berechnungen für den Haushalt ohnehin erledigen. Trump dürfte versuchen, die Gelder für die Ukraine zu kürzen, er würde das amerikanische Engagement in der Nato womöglich zurückfahren. Auf die Bundesregierung kämen dann massive Investitionen in die Verteidigung zu – und Milliarden an Zusatz-Hilfen für Kiew. 

Natürlich könnten die Gelder aus dem normalen Etat genommen werden, wenn die Ampel an anderer Stelle drastisch sparte. Sehr wahrscheinlich wäre das nicht, schon wegen des absehbaren politischen Vorwurfs, die Kosten des Ukraine-Kriegs auf die arbeitende Mitte umzulegen. 

Schon vor Weihnachten haben die Koalitionspartner vorsorglich verabredet, die Schuldenbremse auszusetzen, für den Fall, dass sich die Lage in Sachen Ukraine fundamental verändern sollte. Aber ab wann gilt diese Verabredung genau? Was heißt fundamental? Würde Trump wirklich von einem Tag auf den anderen die US-Hilfe im Krieg gegen Russland zurückfahren? Müssten dann nicht auch erst einmal andere europäische Länder stärker helfen, die Lücke zu füllen? Und würde die FDP – ein Jahr vor der Bundestagswahl – einfach so ihr heiliges Prinzip aufgeben? 

Per Knopfdruck wird die Schuldenbremse auch im Ernstfall wohl kaum auszusetzen sein. Es ginge wohl alles wieder von vorne los: quälende Debatten in der Ampel.

Die Kindergrundsicherung

Das Jahr hatte kaum begonnen, da gab es den ersten Ampelstreit – und natürlich dreht er sich ums Geld. Die FDP will, dass nach mehrfacher Anhebung des Kindergeldes endlich auch die Kinderfreibeträge steigen. Aufschrei bei Teilen von Rot-Grün. Es war nur ein erster Vorgeschmack auf die Debatten, die mit der konkreten Ausgestaltung der Kindergrundsicherung anstehen. 

Ab 2025 will die Ampel Kindergeld, Kinderfreibetrag plus diverse andere Sozialleistungen für Kinder zur Kindergrundsicherung bündeln. So hat es die Ampel im Koalitionsvertrag verabredet und im vergangenen Herbst nach endlosem Streit (inklusive Haushaltsblockade) beschlossen. 5,6 Millionen armen Kinder soll geholfen werden, verspricht die grüne Familienministerin Lisa Paus. 2,4 Milliarden Euro hat der liberale Finanzminister Lindner dafür zusätzlich im Etat 2025 vorgesehen. Bisher. 

Das wird niemals reichen, um Kinderarmut effektiv zu bekämpfen, klagen Sozialverbände und Armutsforscher. Doch wie viele Familien letztlich wie viel Geld genau bekommen werden, lässt sich ohnehin nicht präzise vorhersagen. Am Ende könnte viel mehr Geld fließen als bislang eingeplant.

Mögliche Rettung: die gute alte Zeitschiene. So ein Mammutprojekt umzusetzen dauert. Frühestens ab Juli 2025 könnte man mit der Auszahlung beginnen, schrittweise, hat die zuständige Bundesanstalt für Arbeit schon im Herbst klargestellt. Deren Präsidentin, die Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles, warnte soeben erneut: "Die Uhr tickt, und zwar ganz laut."

Für Lisa Paus dürfte es ein Weckruf gewesen sein, für Christian Lindner womöglich ein Signal der Hoffnung, für die Ampel ein warnendes Nebelhorn: Eisberg voraus. 

Quelle