Er ist plötzlich der wichtigste Mann für Sahra Wagenknecht

10.01.2024 10:13

Am Montag stellte die Ex-Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht ihre neue Partei vor. Nicht dabei war ausgerechnet ein Mitstreiter, der für ihr Projekt entscheidend ist.

Für Sahra Wagenknecht ist er gerade der wichtigste Mann in ihrem Leben – von ihrem Gatten Oskar Lafontaine einmal abgesehen: Klaus Ernst. Dabei saß Ernst nicht einmal mit auf dem Podium, als Wagenknecht am Montagmittag in Berlin ihre neue Partei vorstellte.

Trotzdem hat der frühere Gewerkschaftsfunktionär und Linkenchef im "Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit" (kurz: BSW) eine Schlüsselrolle. Denn der 69-jährige Ernst hat schon zweimal erfolgreich eine Partei (mit-)gegründet. Das BSW ist sein dritter Versuch.

Vor fast genau 20 Jahren, am 12. März 2004, startete der gelernte Elektromechaniker und Diplom-Volkswirt mit einer Gruppe von Freunden die "Initiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit", aus der später die WASG hervorging. Kurz danach wurde er aus der SPD ausgeschlossen. 2007 begleitete er die Fusion von WASG und PDS zur Linkspartei.

So will sich Sahra Wagenknecht vor unerwünschten Mitgliedern schützen

Seit Monaten bereitet Ernst nun mit anderen Mistreitern das neue Parteiprojekt vor. Er soll es auch gewesen sein, der Wagenknecht dazu drängte, das Wagnis einzugehen. 

Am Montagvormittag war Ernst einer von 44 Gründungsmitglieder der Wagenknecht-Partei im Hotel "Oderberg" im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Mittags standen dann sieben davon der Hauptstadtpresse über anderthalb Stunden Rede und Antwort, darunter die neue Parteichefin Sahra Wagenknecht und ihre Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali sowie der neue Generalsekretär Christian Leye, der Cum-Ex-Aufklärer Fabio De Masi und der Düsseldorfer Ex-Oberbürgermeister Thomas Geisel. Die beiden Letzteren sollen die Spitzenkandidaten von BSW bei der Europawahl Anfang Juni werden.

Auffällig: Mit Ausnahme vom ebenfalls anwesenden Wirtschaftswissenschaftler Shervin Haghsheno, der zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt wurde und nach eigenen Worten neu in der Politik ist, handelt es sich bei allen um enge Wagenknecht-Vertraute. Sowohl De Masi als auch Leye waren früher ihre Mitarbeiter, bevor sie selbst Bundestagsabgeordnete wurden. 

Ein direkter Wechsel von der AfD zum BSW ist nicht möglich

Bis Dienstagabend sollen in einem ersten Schub 450 weitere Mitglieder aufgenommen werden. Danach wolle man "kontrolliert und langsam wachsen", wie Wagenknecht betonte: Wer der Partei beitreten will, kann sich zunächst als Unterstützer registrieren lassen. Bevor er ordentliches Mitglied wird, wolle man ihn oder sie aber zunächst "kennenlernen", so Wagenknecht: "Wir müssen gucken, dass es nicht die Falschen sind." Einen direkten Wechsel von bisherigen AfD-Mitgliedern zum BSW schloss sie aus.

So soll vermieden werden, dass man sich Querulanten in die Partei holt. Oder Menschen, die versuchen, diese mit einer anderen Agenda zu unterwandern. Wagenknecht ist erkennbar bemüht, so weit wie möglich Kontrolle über ein Projekt zu behalten, das mit ihrem Namen verbunden ist. 

Neuer Name für Wagenknecht-Partei erst nach der Bundestagswahl

Warum sie sich dafür entschieden hat, die Partei nach sich selbst zu benennen, begründete Wagenknecht in Berlin mit der Wiedererkennbarkeit. Das fange damit an, dass man bei Wahlen "ganz unten auf dem Zettel" stehe. Spätestens nach der Bundestagswahl soll die Partei aber umbenannt werden. Schließlich soll diese "perspektivisch völlig unabhängig von mir weiterbestehen", so Wagenknecht.

Das Programm enthält "nicht so viel Überraschendes", wie Wagenknecht selbst einräumte. Es orientiert sich am Gründungsaufruf für den Verein, der viele Gemeinplätze auflistete: gegen Marktmonopole, für mehr Investitionen in Bildung, ein Steuersystem, welches Geringverdiener entlastet sowie eine neue "Politik der Entspannung" statt Militärhilfe für die Ukraine. Beim Klimaschutz fordert Wagenknecht eine bessere kommunale Wärmeplanung und eine Abschaffung von Robert Habecks Heizungsgesetz, bei der Migration eine Reduzierung der Zahlen durch Prüfverfahren an den EU-Außengrenzen.

Doch vieles ist noch bruchstückhaft, durchsetzt von populistischen Klängen. Etwa, wenn Wagenknecht behauptet, die Anerkennungsquote von Flüchtlinge liege bei unter einem Prozent und dabei unterschlägt, dass es mit subsidiärem Schutz und Abschiebeverbot 2023 insgesamt fast 52 Prozent waren. 

Experten sollen BSW-Parteiprogramm erarbeiten

Ein detailliertes Programm vom BSW soll in den kommenden Wochen von "Expertengremien" ausgearbeitet werden. Das erste große Etappenziel ist die Europawahl. Die Liste dafür soll auf dem ersten Parteitag vom BSW am 27. Januar im ehemaligen Berliner Kino "Kosmos" abgestimmt werden. Wagenknecht kündigte an, dass sich unter den Kandidaten einige prominente "Überraschungen" finden werden. 

Im Herbst stehen dann Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Am Montag bekundete Wagenknecht die Absicht, mit dem BSW in allen drei Ländern antreten zu wollen. Allerdings hielt sie sich eine Hintertür offen: Das Vorhaben hänge davon ab, ob man "Listen mit kompetenten Menschen" erstellen könne. 

Im Bundestag hat Klaus Ernst eine besondere Aufgabe

Hier liegt einer der größten Knackpunkte für die neue Partei. Kaum einer weiß das besser als Klaus Ernst. Die Fusion zwischen WASG und Linke gelang damals, weil die neue Partei auf den bereits gut ausgebauten Parteiapparat der PDS zurückgreifen konnte. Diese Strukturen fehlen dem BSW bislang. Die Hoffnung, dass ganze Linken-Verbände mitsamt ihren Strukturen zu Wagenknecht wechseln könnten, hat sich bislang nur vereinzelt erfüllt. 

Von der Europa-Wahl verspricht sich Wagenknecht auch ein "bundespolitisches Signal". Deshalb will sie im Wahlkampf sehr präsent sein. Selbst als Kandidatin antreten wird sie nicht. "Mein Platz ist im Bundestag", sagte sie am Montag. Gemeinsam mit den neun weiteren Abgeordneten, die sich mit ihr von der Linken abgespalten haben, hat sie Gruppenstatus beantragt. Dann könnte sie mit ihrer neuen Partei auch auf der Bundesbühne weiterhin sichtbar sein. 

Und auch hier kommt es auf Klaus Ernst an. Der Mann, der ein Faible für Sportwagen hat und sich damit den Spitznamen "Porsche-Klaus" einhandelte, soll in der neuen Bundestagsgruppe ihr Stellvertreter sein. Er muss Wagenknecht im Bundestag den Rücken frei und die Gruppe zusammenhalten, wenn die neue Parteichefin für ihr Bündnis durchs Land tourt. 

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