Ex-Mitarbeiter spricht über Schuhbeck: Wie in einer Sekte, in der mir das Gehirn gewaschen wurde

29.07.2021 11:08

Wer bei Alfons Schuhbeck in den 90er Jahren einen Ausbildungsplatz ergatterte, hatte das goldene Ticket in die Welt der Sterneküche. Doch man musste offenbar einen jähzornigen Chef aushalten, der nur nach außen eine saubere Weste wahrte. Der stern sprach mit Ex-Lehrling Thomas Sixt über seine Jahre bei Schuhbeck, die ihn tief geprägt haben. 

Alfons Schuhbeck war der Goldjunge seiner Branche. Er erkochte sich einen Stern, hofierte Promis wie Franz Beckenbauer und Boris Becker. Es gab kaum etwas, was Schuhbeck nicht zu Geld machte. Sein Unternehmen zählte zu den größten Gastro-Imperien Deutschlands. Jetzt ermittelt der Fiskus, für seine Restaurants und den Partyservice hat er Insolvenz angemeldet. Nun, wo Schuhbecks Dominanz bröckelt, wo man seinen Einfluss nicht mehr fürchten muss, zeichnet sich ein neues Bild. Auch über seinen Umgang als Chef. Bisher galt: Was hinter den Kulissen passierte, verschwieg man besser. Man lebte das überholte Motto: Wer keine Hitze verträgt, hat in der Küche nichts verloren.

Ex-Mitarbeiter Thomas Sixt möchte sein Schweigen nun brechen. Er wurde in den 1990er Jahren von Alfons Schuhbeck als Koch ausgebildet. Was er dort erlebte, brennt ihm bis heute auf der Seele. Ein Gespräch über eine Zeit, die Sixt bis ins Mark getroffen hat.

Herr Sixt, Alfons Schuhbeck ist gerade in allen Medien. Er hat Insolvenz angemeldet, ist also zahlungsunfähig und gibt der Coronakrise und dem Staat die Schuld. Gleichzeitig wird gegen Schuhbeck auch wegen möglicher Steuerhinterziehung ermittelt. Und jetzt möchten Sie über Ihre Lehrzeit bei Schuhbeck im "Kurhausstüberl" in Waging am See sprechen, die nicht immer so rosig war. Warum gerade jetzt?

Weil nun Fragen gestellt werden, wie glaubwürdig Alfons Schuhbeck ist. Und genau das ist mein Punkt, diese Glaubwürdigkeit. Wer hätte in seiner Glanzphase mir ein Gehör oder Glauben geschenkt? Was mich jahrzehntelang bewegt hat, möchte ich jetzt loswerden.

Sie haben von August 1992 bis Februar 1995 bei Alfons Schuhbeck Koch gelernt. Wieso wollten Sie unbedingt zu ihm?

Damals lief die Herta-Werbung mit Alfons Schuhbeck im Fernsehen und ich dachte mir, bei einem Sterne- und Fernsehkoch zu lernen, das kann ja nur gut sein. Und mich reizte der Querschnitt der Gastronomie von Schuhbeck. Da gab es einen Imbiss für die Badegäste, ein Wirtshaus mit moderaten Preisen, ein Sternerestaurant und einen Party-Service. Würde ich dort lernen, hätte ich es später einfacher in der Gastronomie. Es war das goldene Ticket in die Sterneküche. Das wussten alle.

Also waren Sie von ihm begeistert.

Ich war ein junger Mensch, erst 17 Jahre alt. Natürlich habe ich den Sternekoch Bayerns bewundert und respektiert. Eine Kochausbildung bei ihm zu machen, war etwas Besonderes. Und hat mir auch später viele Türen geöffnet.

Und dann kam die Ernüchterung.

Er konnte sehr jähzornig sein. Wenn er mit seinem neuesten Auto angefahren kam, wurde es hektisch in der Küche. Einer schrie "der Chef ist da". Der verzog sich dann in sein Büro, zog seine Kochjacke an und kam in die Küche. Dann erlebte jeder, wie er wirklich war.

Wurde er ausfallend?

Oh ja, Köche und Lehrlinge wurden mitunter als "blöde Idioten und Arschlöcher, die nicht kochen können" beschimpft. Das habe ich so erlebt. Es wurde schnell persönlich. Wer kein dickes Fell hatte, zerbrach daran. Es gab auch Kollegen, die nach dem ersten Jahr Tabletten schmissen.

Dass in der Küche hin und wieder ein rauer Ton herrscht, ist ja kein Geheimnis ...

Aber nicht so. Alfons Schuhbeck hat für mich ein Lebenswerk hinterlassen. Der Ton in seiner Küche, der respektlose Umgang mit Mitarbeitern und Lehrlingen hatte eine einzigartige Qualität. So etwas ist mir in keiner anderen Küche nochmal begegnet. Wir haben mit dem Service mal ein Experiment gemacht: Von der Küche bis zu Tisch 22 im Restaurant waren es etwa 16 Meter. Dazwischen gab es eine automatische Küchentür aus Glas und beim Restauranteingang eine Heizungsraum-Tür. Wir haben die Gläser auf Tisch 22 aneinandergestellt. Wenn Alfons Schuhbeck geschrien hat, dann haben trotz der geschlossenen Türen die Gläser vibriert.

Wie hält man so eine psychische Belastung aus?

Die meisten Lehrlinge haben geschmissen und den Betrieb gewechselt. Andere Kollegen dachten, das sei alles normal, schließlich arbeitet man für den Besten, da muss man sowas aushalten. Ich fühlte mich wie in einer Sekte, in der mir das Gehirn gewaschen wurde. Wir waren Schuhbecks Olympiamannschaft und da galten Regeln. Eben die Regeln von Alfons Schuhbeck. Ich hatte Glück, egal wie hart es für mich war, ich hatte Menschen in meinem Umfeld, die mich unterstützt haben.

Wie haben Sie Alfons Schuhbeck persönlich wahrgenommen?

Er war immer gepflegt, gepflegte Hände, teure Armbanduhren, ein elegantes Auftreten und eine tolle Präsenz. Wenn er im Raum stand, war er der Mittelpunkt. Ansonsten war er ein Getriebener: Schnell da, schnell wieder weg.

Hat er denn nicht gekocht?

Fürs Fernsehen bestimmt, so habe ich das wahrgenommen. Manchmal hat er am Pass (Anm. d. Red.: Speisenausgabe) abgeschmeckt. Und auch mal ein Pfännchen oder eine Sauteuse (Anm. d. Red.: Schwenkpfanne) geschwenkt, vielleicht mal Sauce auf den Teller geben. Das war's aber. In der Küche nannten wir das "Management by Helikopter": schnell und laut aufschlagen, viel Staub aufwirbeln und dann schnell wieder weg.

Waren Ihre anderen Vorgesetzten einfühlsamer?

Von oben nach unten wurde Druck ausgeübt. Die Postenchefs gingen mit den Lehrlingen so um, wie Alfons Schuhbeck mit allen. Mobbing und Ausbeutung waren an der Tagesordnung. Das habe ich so empfunden. An einem Sonntagabend gegen 22.30 Uhr als die ganze Küchenmannschaft schon weg war, hat der Souschef 15 Kilogramm Steinpilze in den Hof gestellt und den Lehrlingen gesagt, dass sie die heute noch putzen müssen, er selbst hat Feierabend gemacht. Dass wir Lehrlinge am nächsten Tag in die Berufsschule mussten, hat niemanden interessiert. Es gab aber auch gute Lehrer. Der Küchenchef beispielsweise und ein Postenchef, der auch mal Druck gemacht hat, aber immer sachlich geblieben ist.

Alfons Schuhbeck liebte den Mittelpunkt, liebte die Promis, die bei ihm ein und ausgingen. Wie viel haben Sie davon mitbekommen?

Der FC Bayern mit der gesamten Mannschaft kam öfters. Dazu noch Caterings zum Geburtstag von Bayern-Arzt Müller Wohlfart. Da war auch mal Boris Becker, Franz Beckenbauer und andere Promis zu Gast. Die hat Alfons Schuhbeck natürlich immer besonders begrüßt.

Wie sehen Sie die Zeit bei Alfons Schuhbeck rückblickend: Hat sie Ihnen geholfen oder sind Sie am Ende doch traumatisiert?

Natürlich hat mir meine Ausbildung bei Alfons Schuhbeck Türen geöffnet. Aber er ist halt nicht nur der Strahlemann mit leckeren Gewürzen und Ingwer, der als Küchenverführer von Prominenten, Gästen und Medien geschätzt wird. Rückblickend empfinde ich seine Handlungsweisen als fahrlässig. So eine Zeit vergisst man nicht und der Druck, der auf meine Kollegen und mich ausgeübt wurde, ist heute noch so präsent als wäre es gestern gewesen. Zum Glück hat Alfons Schuhbeck mir nicht die Freude am Kochen genommen. Heute stehe ich nicht mehr in Profiküchen, sondern führe einen Foodblog mit internationalen Rezepten. Mein Credo ist: Kochen für Zuhause mit Akzenten aus der Sterneküche. Die Vergangenheit erinnert mich an den Spruch "Diamanten entstehen unter Druck". Für mich allerdings muss Kochen Spaß machen.

Disclaimer: Thomas Sixt beantwortet für den stern exklusiv Fragen zu seiner Lehrzeit, er schildert ausschließlich seine persönlichen Erfahrungen und subjektiven Meinungen, wie er die Zeit empfunden hat.

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