Ex-Ostbeauftragter Marco Wanderwitz: Im brennenden Haus nützt es nichts, mit den Brandstiftern zu reden

15.01.2024 10:04

Der Ex-Ostbeauftragte Marco Wanderwitz kämpft seit zwei Jahren für ein AfD-Verbotsverfahren. Im Interview sagt er, warum die Zeit dafür knapp wird.
 

Sie kämpfen für ein AfD-Verbot. Aus welcher Partei erhalten Sie die meiste Unterstützung?
Im Verhältnis zur Größe der Partei bekomme ich die meiste Unterstützung von den Grünen. Aber auch aus Union, SPD, Linkspartei und von parteilosen Kommunalpolitikern kommt viel Zuspruch. 

Wie sieht es mit der eigenen Partei aus?
Auch hier gibt es viel Zuspruch. Gerade hat mich zum Beispiel ein CDU-Ortsvorsitzender aus Niedersachsen kontaktiert, um mir mitzuteilen, dass sich sein Stadtverband für ein AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen hat. Bei eigentlich allen Parteien hält sich die Führungsspitze noch bedeckt.

Ihr Parteichef Friedrich Merz hält sich nicht nur bedeckt. Er hat im letzten Sommer gesagt, dass er ein AfD-Verbotsverfahren ablehnt.
Wir haben inzwischen eine andere Lage. Zwei weitere Landesverbände der AfD wurden vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Das Recherchenetzwerk Correctiv hat gerade über ein Geheimtreffen mit AfD-Politikern berichtet, bei dem geplant wurde, Tausenden von Deutschen die Staatsbürgerschaft zu entziehen und sie nach Afrika zu deportieren. Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, hier ist er: Die AfD radikalisiert sich immer weiter. Und das bleibt nicht ohne Folgen. In allen anderen Parteien ist die Sensibilität gewachsen, dass hier große Gefahr für unser Land und unsere Demokratie droht.  Das Thema AfD-Verbot gewinnt an Fahrt.

Bei dem Geheimtreffen sollen auch zwei Mitglieder Ihrer Partei dabei gewesen sein. Wie sollte man mit ihnen umgehen?
Dazu hat sich unser Generalsekretär Carsten Linnemann schon klar geäußert. Wer sich so radikalisiert, ist falsch in unserer Partei. Allerdings sind das nur einzelne Randfiguren bei uns. Bei der AfD ist es die erste und zweite Reihe.

Es besteht kein Grundrecht darauf, rechtsradikal zu sein

Laut Umfragen wäre die AfD bundesweit momentan zweitstärkste Kraft, in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo im Herbst ein neuer Landtag gewählt wird, sogar die stärkste. Ist es nicht zu spät für ein Verbot?
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem zweiten Urteil zum NPD-Verbotsverfahren entschieden, dass rechtsradikale Parteien "wirkmächtig" genug sein müssen, um verboten zu werden. Im Grundgesetz steht nichts darüber, dass man nicht mehr verboten werden darf, nur weil man "zu groß" ist. Und noch etwas: Ich trommele seit zwei Jahren für ein AfD-Verbot. Erst wurde oft gesagt, die Partei sei nicht relevant genug für ein solches Verfahren. Jetzt erzählen einige, sie sei zu groß. Da kann ich nur antworten: Was ist denn die Alternative? Wenn du im brennenden Haus stehst, nützt es nichts, mit den Brandstiftern zu reden. Der Brand muss gelöscht, und die Brandstifter müssen von weiteren Taten abgehalten werden.

Gegner eines Verbotsverfahrens sehen in diesem den Versuch, einen politischen Gegner auszuschalten.
Die AfD hat Angst. Aber es besteht nun mal kein Grundrecht darauf, rechtsradikal zu sein. Ich bin bereit, mit jeder rechtsstaatlichen Partei in den demokratischen Wettbewerb zu gehen. Aber nicht mit Rechtsradikalen, die unsere Demokratie zerstören wollen

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) glaubt nicht an den Erfolg eines Parteiverbots. Man müsse sich "zu 100 Prozent sicher sein, dass es erfolgreich ausgeht", wenn man es anstrebe, weil ein Scheitern ein gewaltiger PR-Sieg der AfD wäre. Sind Sie zu 100 Prozent sicher?
Unter Juristen haben wir den Kalauer "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand".  Ein Verfahren wie dieses hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, nur ähnliche. Eine Garantie, dass es erfolgreich ist, gibt es nicht. Aber wenn wir eine weitere Radikalisierung abwarten, kann es zu spät sein. Zumal dieses Verfahren vermutlich rund zwei Jahre dauern wird, vielleicht auch noch länger.

Laut Bundesverfassungsgericht muss sich eine Partei auf "aktiv-kämpferischer Weise" gegen die Demokratie einsetzen, um verboten zu werden. Wo sehen Sie das bei der AfD gegeben?
Da ist beispielsweise das permanente Verächtlichmachen der Demokratie und ihrer Institutionen durch AfD-Politiker. Aber der zentrale Punkt ist das völkisch-rassische-ethnohomogene Deutschen-Bild, was die AfD durchsetzen will. Stichwort "Remigration". Das steht klar im Widerspruch zu Artikel 1 des Grundgesetzes, der Menschenwürde. Hinzu kommen Antisemitismus, Hass umd Ausgrenzungsphantasien gegen Minderheiten wie zum Beispiel Behinderte oder die LGBTQ-Community.  Die AfD will die Demokratie von innen heraus zerstören. 

Warum sympathisieren trotzdem so viele Menschen mit der AfD?
Wir stecken seit Jahren in einer Dauerkrise: Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona, der russische Angriffskrieg. Das ist eine große Belastung für die Menschen. In den letzten Monaten hat die AfD nicht zuletzt durch eine schwache Bundesregierung viel Zulauf erhalten. Aber das sind Menschen, die man zurückgewinnen kann. 

Nicht zurückgewinnen kann man die, die schon seit Jahren Anhänger dieser Partei sind. Die wählen AfD, weil sie rechtsradikal ist, nicht trotzdem. Studien zeigen: Rund zehn Prozent der Deutschen haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Dieser Faktor ist dabei im Osten mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Diesen Menschen können die demokratischen Parteien faktisch kein Angebot machen. 

Wir sollten nicht zum fünften Mal das Gespräch mit Rechtsradikalen suchen

Sondern?
Wir sollen nicht zum fünften Mal ergebnislos das Gespräch mit Rechtsradikalen suchen. Sondern sie bekämpfen und die Zivilgesellschaft stärken. Die, die sich in den Kommunen für Demokratie, Vielfalt, Miteinander einsetzen. Die fragen sich nämlich zunehmend: Wer interessiert sich eigentlich noch für uns?

Kann die Wagenknecht-Partei der AfD Stimmen abnehmen?
Ich glaube nicht. Der traditionelle AfD-Wähler würde niemals für eine Partei stimmen, die lauter Menschen mit Migrationshintergrund im Vorstand hat, wie zum Beispiel Frau Wagenknecht selbst. Da können die inhaltlichen Übereinstimmungen wie etwa bei der Russland-Politik noch so groß sein. Warum sollten die AfD-Anhänger eine Kopie wählen, wenn sie sich beim Original wohl fühlen? Ich glaube, die Wagenknecht-Partei wird leider die demokratischen Parteien weiter aushöhlen, aber die AfD kaum etwas kosten.

Was sind für Sie die nächsten Schritte mit Blick auf das AfD-Verbotsverfahren?
Ich führe seit Monaten Gespräche mit anderen Politikerinnen und Politikern. Mein Antragsentwurf ist fertig. Wir warten das Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts Münster ab, das darüber entscheidet, ob der Verfassungsschutz die AfD bundesweit als Verdachtsfall einstufen durfte. Die AfD hatte dagegen geklagt. Im zweiten Quartal möchte ich den Antrag für ein AfD-Verbot im Bundestag einbringen.

Wenn ich spätabends arbeite, schließe ich mein Büro von innen ab"

Was erwarten Sie von Friedrich Merz und Olaf Scholz?
Ich wünsche mir von Beiden, dass sie die Dramatik der Lage und die Größe des Problems sehen und ein Verbotsverfahren unterstützen. 

Wer sich öffentlich gegen die AfD stellt, wird oft zur Zielscheibe von Hass. Wie erleben Sie das und wie gehen Sie damit um?
In der Tat erhalte auch ich viele Drohungen. Das meiste ist anonym, aber nicht alles, das zeige ich dann an. Einmal gab es einen größeren Pyrotechnik-Anschlag auf mein Wahlkreisbüro, bei dem die Scheibe zerstört wurde. Auch im Bundestag ist durch die AfD eine deutlich bedrohlichere Atmosphäre entstanden. Hass und Hetze, das betrifft nicht nur mich. Ich schließe, wenn ich spätabends noch arbeite, mein Büro von innen ab. Natürlich fragt man sich manchmal: Ist es das wert? Bislang habe ich diese Frage für mich immer mit Ja beantwortet. Wenn alle aufgeben, hätte die AfD gewonnen.

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