Experteninterview: Herz in Gefahr?

30.09.2020 12:21

Was gefährdet unsere Herzgesundheit? Was können Sie tun, um Ihr Herz fit zu halten? Gesund&vital hat den Herzspezialisten Felix Schröder gefragt

g&v: Was sind die größten Risiko­faktoren für unser Herz-Kreislauf-System?

Felix Schröder: Übergewicht, erhöhte Blutfettwerte (Cholesterin), Rauchen, Diabetes und Bluthochdruck. Vor allem der letzte Risikofaktor wird seit einigen Jahren von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als größter Risikofaktor für die Gesundheit überhaupt eingestuft. Er hat den Hunger in der Welt als führende Ursache für Leid und Krankheit abgelöst und ist noch bedrohlicher als Alkohol und Tabak (Quelle: Global Burden of Disease Study 2010, The Lancet).

g&v: Kann auch Stress zu einer Herzerkrankung führen?

Felix Schröder: Selbstverständlich. Stress ist schwer zu messen, da er sehr individuell wahrgenommen wird. Wo der eine sich schon sehr überlastet fühlt, spuckt der andere in die Hände und legt erst richtig los. Sicher ist jedoch, dass Stress, der mit einem Gefühl der Überforderung und des Kontrollverlustes über die eigene Situation einhergeht, gesundheitsschädlich ist. Insbesondere auch über eine Erhöhung des Blutdrucks.

Ein sehr passendes Beispiel für diesen negativen Stress wäre ein Werksarbeiter der westlichen Welt, der ständig befürchten muss, dass sein Job in beispielsweise Asien sehr viel günstiger erledigt wird. Ihm droht ständig der Jobverlust, er leidet an der damit verbundenen Angst.

g&v: Was kann der Einzelne tun, um sein Herz fit zu halten?

Felix Schröder: Diese Frage ist relativ einfach zu beantworten: Vermeiden Sie alle vorher genannten Risikofaktoren. Das weiß aber heutzutage inzwischen schon fast jeder.

g&v: Wenn dieses Wissen doch verbreitet ist, müsste jetzt wohl eine andere Frage geklärt werden, oder?

Felix Schröder: Ja. Und zwar die Frage, wie erreichen wir, dass sich möglichst viele Menschen gesund verhalten, wenn das bloße Wissen um diese Risikofaktoren offensichtlich dafür nicht ausreicht.

g&v: Was also tun?

Felix Schröder: Um auf diesem Gebiet Fortschritte zu erzielen, ist ein ganzheitlicher Ansatz unumgänglich. Man müsste im Sinne einer sozialen und psychologischen Analyse die Lebensumstände des Erkrankten erörtern und hier individuell Anreize und Motivationen liefern, damit mehr Sport getrieben wird, weniger geraucht wird usw.

An dieser Stelle steht die Schulmedizin zurecht in der Kritik, denn unser Gesundheitssystem betrachtet Erkrankungen oft mehr von der „mechanischen“ Seite. Wenn das Gefäß (z.B. eine Arterie) verstopft ist, wird es (sie) mit moderner Medizin wieder geöffnet – und das Problem ist damit gelöst.

g&v: Und das ist zu kurz gedacht?

Felix Schröder: Ja, denn die nächste Erkrankung ist so quasi programmiert, wenn ein Patient, der beispielsweise raucht und zu viel isst, seine Gewohnheiten nicht ändert. Hier muss sich die Gesellschaft die Frage stellen, wie viel sie bereit ist, für jeden einzelnen Betroffenen zu investieren.

In den Sozialsystemen stecken keine unbegrenzten Mittel. Und die Erfahrung lehrt, dass viele Menschen den Umbruch ohne Unterstützung nicht schaffen. Hier stehen wir mitten in einer unumgänglichen – ethisch kritischen – Debatte zwischen Gesundheitsfürsorge und Investitionsaufwand.

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