Experteninterview: Prädiabetes – Gefahr im Verzug

07.04.2021 11:29

Mehrere Millionen Menschen sind hierzulande an Diabetes erkrankt, und viele wissen noch nicht einmal davon. Vor allem Typ-2-Diabetes entwickelt sich nicht von heute auf morgen, sondern schleichend. Erste Anzeichen für die Krankheit werden oft übersehen, dabei kann  die Vorstufe zu Diabetes noch sehr gut behandelt werden. 

Wieso ahnen viele nichts von ihrem Prädiabetes? Ist der Bauchumfang ein Indikator dafür? Gesund&vital hat nachgefragt: Antworten gibt der Diabetologe Dr. med. Nikolaus Scheper.

g&v: Wieso ahnen viele Menschen nicht, dass sie einen Prädiabetes haben und so möglicherweise auf einen Typ-2-Diabetes zusteuern?

Dr. med. Nikolaus Scheper: Beim Prädiabetes ist der Blutzucker nur geringfügig erhöht. Das verursacht keine Symptome oder Beschwerden, führt aber schon zu Veränderungen an den Blutgefäßen, die die Betroffenen aber zunächst nicht wahrnehmen. Um zu beurteilen, ob der Blutzucker in Ordnung ist oder nicht, muss er gemessen werden.

g&v: Stimmt es, dass der Bauchumfang ein Indikator für einen Prädiabetes sein kann und warum ist das so?

Dr. ScheperJa, der vermehrte Bauchumfang ist wegen der größeren Fettmasse in der Bauchhöhle auch ein Indikator für einen gestörten Blutzuckerstoffwechsel, da im Fettgewebe sogenannte antiinsulinäre Faktoren (Hormone) gebildet werden.

g&v: Wie wird er festgestellt?

Dr. ScheperUm einen Prädiabetes festzustellen, ist ein oraler Glukosetoleranztest erforderlich. Es ist der gleiche Test mit dem auch Diabetes nachgewiesen wird, weil der Prädiabetes ja lediglich ein früheres Stadium der gleichen Stoffwechselerkrankung ist.

g&v: Zahlt die Krankenkasse den Test?

Dr. ScheperDas ist individuell unterschiedlich. Der Test wird aber bei einem begründeten Verdacht auf Diabetes grundsätzlich von der Krankenkasse bezahlt. Dieser Test benötigt allerdings ein Paar fest definierte Rahmenbedingungen, die nicht in jeder Arztpraxis eingehalten werden können. Diabetologische Schwerpunktpraxen sind aber alle in der Lage diese Anforderungen zu erfüllen.

g&v: Wie lange dauert es, bis aus einem Prädiabetes ein manifester Typ-2-Diabetes werden kann?

Dr. ScheperDiese Frage kann man eigentlich nicht beantworten, da die Entwicklung vom Normalzustand über den Prädiabetes bis zum manifesten Diabetes individuell verläuft und teilweise über Jahre gehen kann. Manchmal – insbesondere im Rahmen anderer Erkrankungen – kann das aber auch viel schneller ablaufen.

g&v: Wenn ein Prädiabetes diagnostiziert wird, müssen Betroffene dann Angst vor einem Typ 2 Diabetes haben oder sollten sie es eher als Warnschuss sehen?

Angst ist immer ein schlechter Ratgeber! Insofern sollte man die Feststellung eines Prädiabetes als Chance sehen, dass man mit einer Umstellung von schlechten Gewohnheiten wie Übergewicht und Bewegungsmangel den Zeitpunkt des Auftretens eines manifesten Diabetes beeinflussen kann. Wenn man allerdings nichts tut, ist der Weg Richtung Diabetes gebahnt.

g&v: Lässt sich ein Prädiabetes heilen oder anders gefragt, kann ein Prädiabetes irgendwann wieder verschwinden?

Dr. ScheperNach dem, was wir heute wissen, lassen sich weder ein Diabetes noch ein Prädiabetes wirklich heilen. Es ist aber häufig sehr gut möglich, das Auftreten eines manifesten Diabetes für eine lange Zeit zu verhindern und das Auftreten zeitlich nach hinten zu verschieben.

g&v: Was können Prädiabetiker tun, damit aus einem Prädiabetes kein Diabetes wird?

Dr. ScheperDa die wesentlichen Trigger der Typ-2-Diabeteserkrankung mangelnde Bewegung und falsche hochkalorische Ernährung sind, sollten diese Ursachen möglichst abgestellt werden. Das bedeutet mehr Bewegung und Sport sowie eine dem Prädiabetes / Diabetes angepasste Ernährung. Dabei sollte man beachten, dass man bei der Ernährung möglichst wenig auf schon verarbeitete Nahrungsmittel zurückgreift, da diese nahezu immer deutlich mehr Kalorien haben als unverarbeitete Lebensmittel.

g&v: Haben eigentlich auch Kinder ein Risiko, einen Prädiabetes zu entwickeln?

Dr. ScheperLeider ja, auch Kinder können dieses Risiko schon haben, insbesondere dann, wenn es eine familiäre Vorgeschichte gibt. Und leider gibt es in Deutschland auch schon richtig übergewichtkranke Kinder, die deswegen ein Risiko für Prädiabetes / Diabetes haben.

Herr Dr. Scheper, herzlichen Dank für das Gespräch.

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