Hausarzt über angekündigte Reformen: Ich glaube, Minister Lauterbach übertreibt an der Stelle

11.01.2024 11:08

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will die Hausärztinnen und Hausärzte entlasten. Was werden die Vorschläge bringen? Marc Hanefeld aus Niedersachsen berichtet aus seiner Praxis. 

Große Verbesserungen in der hausärztlichen Versorgung hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt. Was bringen Ihnen die angekündigten Maßnahmen?
Marc HanefeldDa sind ein paar gute Sachen dabei. Jetzt wird es darauf ankommen, was am Ende wirklich kommt und wie es umgesetzt wird. Wenn es nur ein schönes Plakat ohne Inhalt ist, hilft uns das nichts. 

Eine der Neuerungen: Künftig sollen alle von den Hausärzten erbrachten Leistungen auch wirklich vergütet werden, die sogenannte "Budgetierung" entfällt also.
Das wäre eine gute Entwicklung, die die Hausarztpraxen dringend brauchen. Dadurch würde ich tatsächliche für alle Behandlungen bezahlt werden, die ich durchführe. Im Moment ist das nicht der Fall. Ich behandle im Quartal so viele Personen, dass ich am Ende, wenn mein Budget aufgebraucht ist, nicht mehr für alle voll bezahlt werde. 

Warum machen Sie das überhaupt? 
Ich mache das gezwungenermaßen: Bei uns in Bremervörde fehlen sechs Hausarztsitze. Ich habe immer gesagt: Die Leute brauchen doch einen Hausarzt, wir nehmen die auf. Aber das hat zu einer gewaltigen Belastung für mich und meine Mitarbeiter geführt. Nehme ich etwa neue Patienten auf, die chronisch erkrankt sind, ist es aufwendig, sich ordentlich einzuarbeiten und darauf zu achten, nichts zu übersehen. Irgendwann kann man da nicht mehr verantwortungsvoll arbeiten. 2022 habe ich deshalb auch für meine Praxis einen Aufnahmestopp verhängt. 

"Weniger Patienten in den Wartezimmern" und "mehr Zeit für Patienten", verspricht Lauterbach mit den Neuerungen. Etwa dadurch, dass chronisch Erkrankte nicht mehr mehrmals pro Jahr in Ihre Praxis kommen müssen, damit Sie das abrechnen können. Einmal pro Jahr soll reichen.
Eine solche jahresbezogene Pauschale wäre eine gute Änderung. Dass Patienten für die Abrechnung einmal pro Quartal kommen müssen, ist schon längst nicht mehr zeitgemäß. Aber ich glaube, Minister Lauterbach übertreibt an der Stelle. Ich bin skeptisch, ob ich dadurch am Ende wirklich viel mehr Zeit für meine Patienten haben werde. Viele chronische Patienten muss ich trotzdem häufiger mal sehen, um sie ordentlich zu behandeln. Der Andrang ergibt sich nicht durch Rezepte, sondern durch den Beratungsbedarf.

Der Aufnahmestopp, der bei Ihnen gilt, heißt: Menschen, die einen Hausarzt benötigen, werden abgewiesen – und sind dann unter Umständen lange damit beschäftigt, einen Arzt zu finden, der sie behandelt. Was braucht es?

So ist es. Das ist für die Patienten eine schwierige Situation, und für meine Mitarbeiter und mich auch – wir möchten, dass alle zeitnah behandelt werden. Es gibt nur eine Lösung: Wir brauchen mehr Ärzte. Dafür brauchen wir gute Arbeitsbedingungen in den Praxen und wir müssen unseren Nachwuchs deutlich fördern.

Sie selbst haben früher als Anästhesist und Notarzt in einer Klinik gearbeitet. Warum haben Sie sich dazu entschieden, 2020 eine Hausarztpraxis aufzumachen?

In den Kliniken sind die Bedingungen mindestens genauso schlecht. Ich wollte immerhin als Geschäftsführer meiner Praxis selbst entscheiden können, wie ich Abläufe gestalte. Das ist mir dann lieber als in der Klinik, wo ich abhängig bin von den Entscheidungen von Dritten. 

Als niedergelassener Arzt haften Sie mit ihrem eigenen Einkommen dafür, wenn Sie zu viele oder teure Medikamente verschrieben haben. Diese sogenannten Regressfälle sollen nun deutlich reduziert werden, um 80 Prozent, so Lauterbach – wird der Job so attraktiver? 

Das ist schon etwas, was viele davon abhält, den Schritt zur eigenen Praxis zu gehen. Deshalb ist das richtig. Aber wir müssen bei zahlreichen Verordnungen und Rezepten ständig auf der Hut sein. Es würde mich überraschen, wenn sich das nur durch eine Erhöhung der Bagatell-Grenzen, wie es jetzt angedacht ist, in Luft auflösen würde. Und es müsste sich viel mehr ändern: Es ist teilweise ein Irrsinn von Bürokratie, von dem wir umgeben sind. Ich glaube noch nicht daran, dass sich das in der näheren Zukunft bessern wird. "Entbürokratisierung" ist so ein Schlagwort, das aber keinen Inhalt hat. Es bedarf der Reduktion von Regeln, die diese Bürokratie auslösen.

Auch durch die Digitalisierung soll "entbürokratisiert" werden, so das Versprechen. 

Das ist das nächste. Es müsste endlich aufhören, dass wir Beta-Tester sind für schlecht gemachte Digitalisierung. Etwa die elektronische Patientenakte, die ist ein absolutes Grauen. In der aktuellen Form ist die unbenutzbar. Wir müssen sie manuell befüllen mit Daten, die eigentlich vorliegen – ein Irrsinn! 

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