Held oder Maulheld – Friedrich Merz hat noch alle Möglichkeiten

05.02.2024 11:10

Deutschland braucht ein Wachstumspaket, doch dafür wird die Union gebraucht. CDU-Chef Friedrich Merz muss sich entscheiden.

Erinnern Sie sich noch an den Kanzler vor gut elf Monaten? "Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz", sagte Olaf Scholz damals in einem Interview, "wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren geschehen." Nichts weniger als ein neues "Wirtschaftswunder" versprach Scholz, das Schlagwort dazu gab es auch schon: "Scholzonomics". 

Der Slogan passte gut, denn das Versprechen war ein typischer Scholz – etwas größenwahnsinnig. Aber damals war man ja noch guten Glaubens, immerhin hatte der Kanzler bis dato mindestens schon zweimal bewiesen, dass er auch Unmögliches hinbekommt: die eigene Wahl zum Bundeskanzler etwa, oder auch den ersten Winter ohne russisches Gas. Bei aller Skepsis und Verwunderung, man hätte ihm und dem Land also durchaus gewünscht, dass er auch ein drittes Mal das Unmögliche schafft: endlich wieder Wachstum und einen Aufschwung, der den Namen verdient. 

Heute weiß man, dass hinter dem Satz tatsächlich nicht mehr steckte als Hybris. Kein Plan, keine Idee, kein wirklicher Wille zur Umsetzung. Sondern einfach nur ein überheblicher, etwas flapsiger Satz. 

Deutschland fällt zurück

Um 0,3 Prozent ist die Wirtschaft im letzten Quartal 2023 geschrumpft, nach zwei Quartalen Stagnation. Und auch für das laufende erste Quartal dieses Jahres sagen die Ökonomen einen Rückgang der Wirtschaftsleistung voraus, diesmal um 0,2 Prozent. Der Internationale Währungsfonds in Washington hat seine Wirtschaftsprognose für Deutschland diese Woche halbiert, die Experten dort rechnen für 2024 noch mit einem Plus von 0,5 Prozent. 

Jetzt kann man sich streiten, ob Deutschland tief in einer Rezession steckt oder die Volkswirtschaft "nur" für eine längere Phase nicht wächst. Die Diskussion läuft ja schon, die Slogans dazu lauten "Schwarzmalerei" und "Gesundbeten". 

Aber die Zahlen sind ziemlich eindeutig: Während alle anderen Industrienationen der Erde halbwegs ordentlich wachsen, fällt Deutschland zurück. Das gilt auch in Europa, wie etwa diese Grafik sehr eindrucksvoll zeigt. 

Auffällig ist, dass die Probleme weit früher begonnen haben als mit der Arbeit der Ampelkoalition oder mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Ende des billigen Gases aus Russland. Besonders Deutschlands Industrie hat strukturelle Probleme, die sich nicht allein mit hohen Energiepreisen erklären lassen. 

Wie kommt man aus der Krise raus?

Was viele Unternehmen inzwischen lähmt und von weiteren Investitionen abhält, ist eine tiefe Verunsicherung: Zum einen über die neuen technischen Standards, in die sie investieren sollen – ob Wärmepumpe, Wasserstoffnetz, Elektroauto oder Brennstoffzelle –, zum anderen über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sie dies tun sollen. Das gilt für den Energiesektor ebenso wie für den Verkehr, die Infrastruktur und für den Bau – um nur mal vier wichtige Wirtschaftszweige zu nennen, in denen Deutschland tatsächlich einen hohen Investitionsbedarf hat. Das berüchtigte Heizungsgesetz der Ampel aus dem vergangenen Jahr hat großen Schaden angerichtet, weit über die Branche der Heizungsinstallateure hinaus.

Doch wie kommt man da nun raus? Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen November dachten SPD, FDP und Grüne, sie hätten mit ihren zahlreichen Nebenetats einen probaten Weg. Geld und Zuschüsse sollten die Zaghaftigkeit in der Industrie überwinden. Doch diesen Plan verwarfen die Karlsruher Richter. In den drei Monaten seither keinen alternativen Plan gefunden und stattdessen die Unsicherheit in der Wirtschaft nur noch vergrößert zu haben, ist das zweite große Versagen der Ampelkoalition. Daran ändert auch nichts der "Gestaltungshaushalt" von Finanzminister Christian Lindner, der in dieser Woche zumindest durch den Bundestag kam. Gestaltet hat die Koalition damit vor allem ihre eigene Ratlosigkeit. 

Wie tief die Verzweiflung innerhalb der Koalition inzwischen reicht, zeigt der jüngste Vorstoß des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck, mit dem er sich von der bisherigen Regierungslinie absetzt: Ein neues Sondervermögen soll her, außerhalb des regulären Haushalts und abgesichert im Grundgesetz, um damit Investitionen in eben jenen Bereichen der Wirtschaft anzureizen, die besonders wichtig sind für die Transformation der Wirtschaft. Habeck denkt dabei – ganz nach dem Vorbild der USA – an Steuerentlastungen und bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen. 

Seine Idee ist gleich aus drei Gründen interessant: Erstens, solche Instrumente wären tatsächlich eine Antwort auf die tiefe Verunsicherung in vielen Industriebranchen. Zweitens, Habeck greift eine Idee auf, die von Unternehmen, Verbänden und aus dem bürgerlichen Lager von Union und FDP stets als bessere Alternative zu direkten staatlichen Investitionszuschüssen gefordert wird – weil sie technologieoffen ist und nicht einzelne Unternehmen bevorzugt. Und drittens, mit dem Vorschlag eines Sondervermögens spricht er offen die Finanzierungsfrage an. 

Wie entscheidet sich Friedrich Merz?

Langfristige günstige Abschreibungsmöglichkeiten und generelle Steuererleichterungen wären in der jetzigen Lage wirklich ein Befreiungsschlag, aber sie wären, weil sie eben breit wirken, auch sehr teuer. Unterhalb eines Entlastungsvolumens von 20 Mrd. Euro, besser wären 50 Mrd. Euro, braucht man damit gar nicht erst anzufangen. Die FDP wird sagen, man könne das doch prima an anderer Stelle im Haushalt einsparen – was daraus dann aber konkret wird, hat man in den vergangenen Wochen beobachten können. 

Habecks Vorschlag ist daher vor allem ein Angebot an die Union, die er für eine Grundgesetzänderung bräuchte. Auch CDU-Chef Friedrich Merz ist zwar schnell dabei, Einsparungen in den Sozialetats zu fordern – doch je näher die nächste Bundestagswahl rückt, desto mehr wird auch er ins Grübeln geraten, ob er SPD und Grünen wirklich den Gefallen tun will, im aufziehenden Wahlkampf den großen Schleifer des Sozialstaats zu geben. Zumal das Einsparpotenzial bei Bürgergeld und Elterngeld längst nicht reichen würde, um damit große Entlastungen für die Wirtschaft zu finanzieren. 

CDU und CSU stehen unter Merz’ Führung in diesem Jahr vor der schwierigen Frage, ob sie als Opposition wirklich alles ablehnen wollen, was aus der Ampel an sie herangetragen wird. Oder ob sie nicht doch die Gelegenheit ergreifen wollen, mit ihrer aktuellen Stärke etwas Gutes bewegen zu wollen. Man kann die ganze Konstellation gedanklich auch umdrehen: Während der Kanzler aus eigener Kraft mit seiner Koalition kein Wirtschaftswunder mehr entfachen wird, hat Friedrich Merz noch alle Optionen. 

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