Magersucht im Alter: Eine Expertin klärt auf

29.10.2020 14:04

Eine Magersucht ab 40 plus gilt immer noch als Tabuthema. Welche Umstände dazu führen können und warum über die Krankheit im Alter selten gesprochen wird, erklärt eine Expertin im Interview.

Magersucht, ein Wort, eine Krankheit, die uns fast allen im Laufe des Lebens schon einmal irgendwo begegnet ist. Häufig wird sie als Pubertätskrankheit abgetan und mit Jugendlichen, die einem falschen Körperideal nacheifern, in Verbindung gebracht. Unvorstellbar, dass eine Magersucht als Essstörung auch bei Erwachsenen ab 40 plus auftreten kann, oder? Dabei ist das ein Thema, von der laut Studien fast jede dritte Frau ab 40 Jahren betroffen ist. Der Unterschied zur geläufigen Pubertätskrankheit? Kaum jemand spricht darüber, denn eine sogenannte späte Anorexie gilt immer noch als gesellschaftliches Tabuthema.

Magersucht im Alter: Vorsicht bei der Diagnose

Menschen, die auf den ersten Blick ein auffälliges Untergewicht haben, sind nicht gleich an einer Essstörung erkrankt. Oft können auch zum Beispiel ein genetisch bedingter Stoffweschel oder eine Erkrankung der Grund für einen sehr schlanken Körper sein. Ebenfalls ist es möglich, dass im zunehmenden Alter oder durch die Wechseljahre der Appetit abnimmt, und das nicht aufgrund einer Magersucht.

Magersucht im Alter: Eine Expertin im Interview

Liebenswert: Wenn man nach dem Thema „Magersucht im Alter“ sucht, gibt es überraschend wenige Beiträge. Obwohl Studien belegen, dass jede dritte Frau ab 40 Jahren an einer Essstörung leidet. Kann es daran liegen, dass das Thema 'Magersucht im Alter' immer noch ein Tabuthema ist?

Jessica Mentrup: Tatsächlich ist es so, dass eher jüngere Frauen, Teenager und auch Männer als ältere Menschen mit einer Magersucht oder Essstörung verbunden werden. Häufig wird die Krankheit eher im jungen Alter erkannt und versucht, psychologische Ursachen zu finden und sich damit auseinander zu setzen. Über Fälle im Alter wird kaum öffentlich gesprochen, das belegen sogar Studien. Es ist offensichtlich immer noch ein Tabuthema, da es vielen ab einem höheren Alter peinlich ist.

Welche Faktoren können zu einer Essstörung führen?

Jessica Mentrup: Die Faktoren können sehr individuell sein. Oft spielen viele verschiedene Faktoren und eine gewisse Sensibilität bei Betroffenen eine Rolle. Das können zum Beispiel Kindheitserfahrungen, Stress durch Belastung auf der Arbeit, Trennungen von Partnern oder Verluste durch den Tod sein. Eine Magersucht kann deswegen in jedem Alter als psychische Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis auftreten oder, falls eine Essstörung bereits in der Vergangenheit vorkam, wiederkehren.

Extreme Lebenswandel, wie zum Beispiel die Corona-Krise können auch eine psychische Belastung sein, die teilweise sogar depressive Neigungen haben. Zum Beispiel durch Existenzängste.

Ab wann wird ein Essverhalten als gestört bezeichnet?

Jessica Mentrup: Wichtig ist, dass ein niedriger BMI nicht direkt auf eine Essstörung wie eine Magersucht hinweist. Oft ist allerdings eine radikale Diät der Einstieg in eine Essstörung. Denn das gängige Schönheitsideal ist für viele Menschen gerade auch in der Generation 40 Plus immer noch ein dünner Körper. Generell gilt aber, dass jeder sein individuelles Gewichtsdepot hat, das mit etwa minus und plus fünf Kilo immer noch im Gleichgewicht ist.

Wird dies auf Dauer über- oder unterschritten, kann sich eine Essstörung äußern. Auch ein Hinweis kann sein, wenn die Betroffenen das Thema ‚Essen‘ zu ihrem Lebensmittelpunkt machen. Also soziale Kontakte, wie zum Beispiel Essengehen mit Freunden oder der Familie plötzlich meiden. Generell wird vermieden, in der Öffentlichkeit zu essen. Sofern es möglich ist, kann auch übertrieben viel Sport, also eine Sportsucht mit einer Essstörung zusammenhängen. Magersucht bedeutet ja immer hungern, bis es nicht mehr geht. Es ist ja eine Suchterkrankung.

Eine Magersucht kann auch mit den Wechseljahren zusammenhängen

Liebenswert: Kann eine Essstörung, wie zum Beispiel eine Magersucht, auch mit dem Eintreten der Wechseljahre in Zusammenhang stehen? Zum Beispiel durch Hormone?

Jessica Mentrup: Frauen verlieren in den Wechseljahren ja an Östrogen und der Blick auf unsere Optik verändert sich. Studien belegen, dass hormonelle Veränderungen dadurch einen Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung haben können und somit auf unser Essverhalten. Manchmal setzen wir uns damit so unter psychischen Druck, dass wir nur noch ein Idealbild im Kopf haben, dem wir nacheifern. Zum Beispiel unserer früheren Figur.

Ab wann ist es sinnvoll sich professionelle Hilfe bei einer Essstörung zu suchen?

Jessica Mentrup: Wichtig ist, dass sich ein Glücksfaktor als Anker im Leben gesucht wird. Das können Freunde oder Familienmitglieder oder ein Hobby sein. Erreichen wir Tiefpunkte, die uns die Kontrolle über unser Leben verlieren lassen, können uns Menschen oder Momente diese zurückgeben. Denn sonst ist unser Körper das Einzige, was sich in so einer Situation noch kontrollieren ist. Um sich da wenigstens unter Kontrolle zu haben oder zu disziplinieren, kann eine Essstörung auftreten. Wird den Betroffenen das selbst bewusst oder durch sensible Gespräche mit Angehörigen oder Freunden, kann ihnen geholfen werden, aus dieser Magerspirale herauszukommen und mit guten Methoden die Essstörung zu behandeln.

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