Mona Lisa: Warum ihr Lächeln ein Geniestreich ist

06.05.2019 12:25

Kaum ein Künstler ist so vielseitig begabt wie Leonardo da Vinci, dessen Todestag sich am heutigen Donnerstag zum 500. Mal jährt. Sein größtes Talent aber zeigt er, wenn er Frauen porträtiert. Am vollkommensten gelingt ihm das bei dem Bildnis der "Mona Lisa"

Er ist Ingenieur, Denker, Wetterforscher, Hofkünstler großer Herren. Und er ist der Maler der Frauen. Der erste vielleicht, der ihnen nicht nur huldigt, sondern sie zu ergründen versucht. Nicht ihr Schmuck interessiert ihn, sondern ihre Seele, die sich, so ist er überzeugt, in den Regungen eines schönen Körpers ausdrückt. Leonardo da Vinci, 1452 geboren, 1519 ge­storben, schafft, neben allem anderen, die einflussreichsten Frauenbil­der der Kunstgeschichte.

Ein Charmeur aber ist er nicht. Eher wirkt es ein wenig selbstverliebt, wenn er in Florenz über die Piaz­za stolziert, mit seinen Locken, die ihm über das Leinenhemd und den rosafarbenen Umhang auf die Brust fallen. Er sei ein Angehöriger des Hofstaats, könnte man meinen, ein Mann, der es versteht, die Leichtigkeit jenes Menschen auszustrahlen, der sich bei der Arbeit nicht dreckig machen muss.

Doch Leonardo fällt das Leben nicht leicht. Als unehelicher Sohn eines Notars und eines Bauernmädchens wächst er bei seinem Großvater auf, bis der Vater ihn im Jugendalter für eine Malerlehre nach Florenz schickt. Es dauert, bis sich Leonardo in dieser Stadt voller Künstler durchsetzen kann.

Er tut sich schwer, Bildbesteller zufriedenzustellen und Aufgaben zügig zu erledigen. Zu sehr hängt er seinen ­Gedanken über Gott und die Welt nach, macht naturkundliche Experimente, seziert Reptilien und Insekten oder ersinnt auf dem ­Papier Kugellager, Fahrräder und Panzerwagen.

Leonardos Frauenbilder scheinen aus Fleisch und Blut

Die höchste aller Wissenschaften und das Leitmedium aller Künste aber ist ihm die Malerei, auch wenn er aus lauter Ehrfurcht vor dieser Herausforderung kaum mehr als ein Dutzend vollendete Gemälde hinterlässt.

Als er etwa 30 Jahre alt ist, bietet sich ihm die Chance, seinen Fantasien ungestört nachzuhängen. Er tritt in die Dienste von Ludovico Sforza, dem Regenten von Mailand. Der ist stolz, ­einen so ideenreichen Künstler zu beschäftigen. Er lässt Leo­nardo zeichnen, forschen und malen, ohne allzu viele konkrete Ergebnisse zu fordern.

Zu den wenigen Bildwerken, die in den folgenden Jahren in Mailand entstehen, gehört neben dem großformatigen Fresko vom Abendmahl ein Porträt von Ludovicos Geliebter, Cecilia Gallerani. Schön ist die junge Frau – und sich ihres Wertes gewiss. Sie scheint mit dem Hermelin auf ihrem Arm beinahe zu verschmelzen. Hand in Pfote agieren die beiden, sogar ihre Gesichter ähneln einander. Weiß wie die Unschuld ist das kleine Raubtier, aber eben auch energiegeladen. Wie seine Besitzerin.

Stark und eigenwillig wirken schon Leonardos frühere Frauenfiguren, etwa die selbstbewusste Maria in seiner „Verkündigung“, die er als etwa 20-­Jähriger malte. In den Bildnissen irdischer Frauen schließlich erreicht Leonardo eine nie gekannte Intensität. Er zeigt sie von vorn oder in Dreiviertelansicht anstatt, wie üblich, unansprechbar im starren Profil. So treten sie in einen Dialog mit dem Betrachter, blicken ihn an, ja flirten sogar.

Diese neue Emotiona­lität wird die Geschichte des Sehens prägen, die immer auch eine Geschichte des Fühlens ist. Leonardos Frauen scheinen aus Fleisch und Blut und nicht aus Öl und Farbe zu sein, und genau das ist Leonardos Absicht.

Das Porträt der Mona Lisa ist sein Herzensstück

Am vollkommensten gelingt ihm das bei dem Bildnis, das heute "Mona Lisa" heißt. Bis zu seinem Tod behält der Künstler es bei sich, trägt immer neue Schichten auf, mischt dem Teint etwas Zinnober bei, um die Blutgefäße zu ­simulieren. Es ist sein Herzensstück, sein künstlerisches Vermächtnis. Die schmucklose, in schlichtem Gewand gekleidete Frau vermag mit ihrem Blick ihre Betrachter zu durchdringen und bleibt selbst doch geheimnisvoll.

Jahrzehnte später berichtet der Kunstschriftsteller Giorgio Vasari, die Kaufmannstochter Lisa del Giocondo habe da Vinci einmal Porträt gesessen. Das ist in der Tat so gewesen, besagt aber noch nicht, dass es sich bei dem damals entstandenen Bild um jenes handelt, das heute im Pariser Louvre hängt.

Leonardo selbst legt eine andere Spur. Als er im Alter für den französischen König in einem Schloss bei Amboise arbeitet, zeigt er einem Besucher in seinem Atelier ein Bildnis einer schönen Frau und erzählt, er habe es ursprünglich für Giu­liano de’ Medici, den Bruder des Papstes Leo X., zu malen begonnen. Denkbar ist, dass Giuliano das Bild für seinen un­ehe­lichen Sohn bestellte, der seine Mutter früh verloren hatte. Leonardo könnte für den Jungen die Mutter seiner Träume gemalt haben, eine Idealfrau.

Die Frau mit dem geheimnisvollen Lächeln

In jedem Fall setzt er hier seine Idee von Weiblichkeit ins Bild. Die Dargestellte thront vor einer Landschaft, die links ausgetrocknet scheint, rechts dagegen von einem Gewässer durchflossen. Das geheimnisvolle Lächeln ihres Mundwinkels deutet auf die fruchtbare Seite hin. Die Natur ist ein Werden und Vergehen, und Frauen repräsentieren diese Natur, weil sie Leben schenken können.

Deshalb bewundert Leonardo sie: weil sie das kosmische Prinzip verkörpern. So wirkmächtig ist diese Idee des Universalkünstlers, so stark seine in weiches Licht getauchte lächelnde Schöne, dass das Bild noch heute Millionen in seinen Bann zieht. Dies dürfte in Leonardos Sinn gewesen sein: Er malte nicht für ­seine Zeitgenossen, sondern, wie er meinte, für die Ewigkeit.

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