Morbus Meulengracht: Wenn sich Augen und Haut gelb verfärben

30.09.2019 09:34

Ein Schreck beim Blick in den Spiegel: Gelbe Augen! Was hat das zu bedeuten? Hinter der Verfärbung können sich schwerwiegende Erkrankungen wie eine Hepatitis oder Leberzirrhose verbergen, aber auch eine ziemlich harmlose Stoffwechselstörung der Leber mit dem klangvollen Namen Morbus Meulengracht (oder auch Gilbert-Syndrom).

Was ist Morbus Meulengracht?
Was sind die Ursachen von Morbus Meulengracht?
Was sind die Symptome bei Morbus Meulengracht?
Wie erkennt der Arzt Morbus Meulengracht?
Wie wird Morbus Meulengracht behandelt?
Wie kann ich vorbeugen?
Wie sind die Heilungschancen?

Streng genommen muss sie nicht als “Morbus”, lateinisch für Krankheit, eingestuft werden, da es sich dabei um eine genetische Veranlagung ohne eigentlichen Krankheitswert handelt. Allerdings ist für Betroffene bei der Einnahme bestimmter Medikamente Vorsicht geboten.

Was ist Morbus Meulengracht?

Biochemischer Alltag im gesunden menschlichen Körper: Beim Abbau des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin entsteht das gelbe Bilirubin, auch Gallenfarbstoff genannt. Das Bilirubin wird in der Leber mithilfe eines Enzyms abgebaut. Morbus Meulengracht ist eine Stoffwechselstörung, bei der die Aktivität dieses Enzyms eingeschränkt ist. Das führt zeitweise zu einem leicht erhöhten Bilirubinspiegel im Blut (Hyperbilirubinämie).

Im Normalfall liegt der Wert für das relevante indirekte Bilirubin bei bis zu 1 Milligramm pro Deziliter. Bei Morbus Meulengracht kann er bis zu fünffach erhöht sein. Das kann sich in der Gelbfärbung des Weißen im Auges (der sogenannten Skleren) und der Haut zeigen. Dieses und andere Symptome sind kein Dauerzustand, sondern treten unter bestimmten Bedingungen in Schüben auf, die unterschiedlich lange dauern können. Oft zeigen Betroffene auch gar keine Symptome. Die Krankheit betrifft vor allem Männer, bei denen die Symptome meist zwischen der Pubertät und dem 40. Lebensjahr auftreten. Tatsächlich kommt Morbus Meulengracht relativ häufig vor.

Benannt ist die Krankheit nach Jens Einar Meulengracht (1887 – 1976), einem dänischen Internisten, der diese maßgeblich erforscht hat. Alternativ wird sie auch als Morbus Gilbert-Meulengracht oder Gilbert-Syndrom bezeichnet, nach dem französischen Arzt Augustin Nicolas Gilbert (1858 – 1927), der sie bereits um 1900 untersuchte. Morbus Meulengracht ist angeboren, gutartig und im Grunde harmlos. Allerdings kann die schubweise Gelbfärbung für Betroffene eine psychische Belastung sein. Wichtig ist außerdem zu wissen: Die Erkrankung kann die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen!

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Was sind die Ursachen von Morbus Meulengracht?

Das Enzym UDP-Glucuronosyltransferase (UDP-GT) ist bei Morbus Meulengracht nicht aktiv genug. Bei Betroffenen liegt die Aktivität der UDP-GT nur bei etwa 30 Prozent im Vergleich zu der bei gesunden Menschen. Durch diese Funktionsstörung wird das Bilirubin in der Leber langsamer wasserlöslich gemacht und abgebaut.

Daher steigt der entsprechende Spiegel im Blut an. Ursache dafür ist eine genetische Veranlagung. Morbus Meulengracht ist erblich bedingt. Er wird rezessiv vererbt, das heißt, die Erbinformation muss von beiden Elternteilen kommen, damit sich diese Stoffwechselstörung überhaupt ausbildet. Liegt die Aktivität des Enzyms übrigens bei unter 10 Prozent, hat man es mit einem anderen, weitaus problematischeren Syndrom zu tun: dem Crigler-Najjar-Syndrom.

Die Art der Lebensführung kann den Bilirubinspiegel beeinflussen und die Symptome verstärken – oder auch abschwächen: Alkohol, Nikotin, zu fettarme Ernährung, längeres Fasten oder Stress zum Beispiel lassen den Gallenfarbstoff im Blut ansteigen.

Was sind die Symptome bei Morbus Meulengracht?

Oft ist der Bilirubinspiegel nur leicht erhöht und es treten überhaupt keine Symptome auf. Das charakteristischste ist eine Gelbfärbung des üblicherweise weißen Bereichs im Auge. Manchmal verfärbt sich bei auch die Haut gelb (Gelbsucht, genannt Ikterus).

Das kann schubweise vorkommen, insbesondere unter Belastungen wie Stress, Infektionen, Fasten oder auch häufigem Erbrechen, zum Beispiel in der Schwangerschaft oder aufgrund eines Magen-Darm-Infektes.

Betroffene klagen auch über Oberbauchbeschwerden, Kopfschmerzen bis hin zu Migräne, Übelkeit, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Verstimmung. Juckreiz, wie bei anderen Lebererkrankungen, ist kein typisches Morbus Meulengracht-Symptom.

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Wie erkennt der Arzt Morbus Meulengracht?

Bei Verdacht auf Morbus Meulengracht macht der Arzt einen Bluttest. Oft wird er zufällig nebenbei entdeckt, wenn aus anderen Gründen eine Blutuntersuchung stattfindet. Wenn nur der Bilirubinwert leicht erhöht ist, alle anderen Leberwerte sich aber im Normalbereich befinden und sich auch sonst keine Krankheitsanzeichen finden, liegt die Diagnose Morbus Meulengracht nahe.

Entscheidend bei der Feststellung dieser genetischen Disposition ist, dass somit schwerwiegende Leberkrankheiten oder andere Erkrankungen wie eine Hämolyse (Auflösung der roten Blutkörperchen) ausgeschlossen werden können.

Ein Bluttest ist in der Regel ausreichend, Gewissheit bringt zusätzlich eine molekulargenetische Untersuchung. Dieses Verfahren macht früher übliche Tests mit Fasten oder Nicotinsäure weitestgehend überflüssig, die den Bilirubinspiegel bewusst in die Höhe treiben.

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Wie wird Morbus Meulengracht behandelt?

Da Morbus Meulengracht im eigentlichen Sinne keine Krankheit ist und in der Regel symptomfrei verläuft, muss auch keine Therapie erfolgen.

Betroffene können allerdings etwas dafür tun, den Bilirubinspiegel niedrig zu halten: Dabei helfen eine geregelte Lebensweise mit ausreichend Schlaf und regelmäßigen, nicht zu fettarmen Mahlzeiten sowie ein Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Außerdem wird von Fastenkuren abgeraten.

Unbedingt zu beachten ist, dass für Betroffene bei der Einnahme bestimmter Medikamente Vorsicht geboten ist.

Vorsichtsmaßnahmen bei Morbus Meulengracht

Medikamente, die entweder mit Hilfe des bei Morbus Meulengracht nur eingeschränkt funktionierenden Enzyms UDP-GT abgebaut werden oder deren Wirkstoffe die Aktivität der UDP-GT noch weiter beeinträchtigen, können in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt sein, schlecht abgebaut werden oder schwere Nebenwirkungen auslösen.

Das gilt nicht nur für spezielle Präparate wie das Krebsmedikament Irinotecan oder die HIV-Medikamente Indinavir und Atazanavir. Möglicherweise trifft es außerdem auf Östrogen-Präparate (auch Verhütungsmittel wie die Pille), cholesterinsenkende Mittel, Buprenorphin (ein starkes Schmerzmittel), Anthrachinone und Flavonoide (Anti-Oxidantien) zu. Auch das handelsübliche Schmerzmittel Paracetamol sollten Morbus Meulengracht-Betroffene nicht einnehmen!

Während der Medikamenteneinnahme sollten Betroffene ärztlich überwacht werden (Verträglichkeit und Medikamentenspiegel im Blut). Morbus Meulengracht ist eine genetische Veranlagung und somit nicht ansteckend. Einem Kinderwunsch und einer Schwangerschaft steht die Stoffwechselstörung nicht im Wege.

Wie kann ich vorbeugen?

Da es sich bei Morbus Meulengracht um eine genetische Disposition handelt, können Betroffene dem Zustand nicht vorbeugen. Weil er aber keinen eigentlichen Krankheitswert hat, ist das auch nicht notwendig.

Einem erhöhten Bilirubinspiegel im Blut und dem einhergehenden Auftreten der Symptome kann eine bestimmte Lebensweise vorbeugen: ausreichend Schlaf, keine zu fettarme Ernährung, keine Fastenkuren, kein Alkohol, kein Nikotin.

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Wie sind die Heilungschancen?

Morbus Meulengracht ist nicht heilbar, muss er aber auch nicht sein. Auf die Lebenserwartung hat er keinen Einfluss.

Vielleicht gibt es sogar einen Trost für Betroffene: Studien zeigen, dass diese Disposition möglicherweise schweren Erkrankungen wie Darmkrebs, Lungenkrebs oder Arteriosklerose entgegenwirken kann.

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