Skin-Picking-Disorder: Wenn krankhaftes Kratzen die Haut zerstört

26.09.2019 08:46

Wer gedankenverloren oder absichtlich immer wieder seine Haut aufkratzt, bis das Blut fließt, leidet womöglich an einer Störung namens Skin-Picking-Disorder. Erfahren Sie mehr über Ursachen und Therapie dieser wenig bekannten Erkrankung.

Skin-Picking-Disorder – Was ist das?
Was sind die Ursachen der Skin-Picking-Disorder?
Was sind die Symptome einer Skin-Picking-Disorder?
Wie erkennt der Arzt die Skin-Picking-Disorder?
Wie wird eine Skin-Picking-Disorder behandelt?
Wie kann ich der Skin-Picking-Disorder vorbeugen?
Wie sind die Heilungschancen bei Skin-Picking-Disorder?

Skin-Picking-Disorder – Was ist das?

Als Skin-Picking-Disorder bezeichnet man eine psychische Erkrankung, bei der die Patienten zwanghaft ihre Haut bearbeiten. Die Betroffenen kratzen, knibbeln und pulen immer wieder und ausdauernd an Pickeln, Mitessern, Schorf oder anderen Hautunreinheiten. Dazu benutzen sie ihre Finger, Zähne oder Werkzeuge wie Pinzetten, Messer und Scheren. Zu den Folgen dieses Verhaltens gehören schmerzhafte Verletzungen, Entzündungen und sichtbare Narben.

Lange galt das ausgedehnte Aufkratzen und Quetschen der Haut als unschöne Angewohnheit, seit 2013 ist die Skin-Picking-Disorder als Krankheit anerkannt. Bisher gibt es allerdings nur wenige Studien dazu und keine verbindlichen Kriterien, um die Krankheit einzuordnen. Einige Experten sehen in diesem Krankheitsbild eine Impulskontrollstörung, andere eine Zwangsspektrumsstörung. Im Deutschen wird für diese psychische Erkrankung auch der Fachbegriff Dermatillomanie verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind “Neurotic Excoriation” und “Acne Excoriée”.

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Erstmals beschrieben wurde das zwanghafte Bearbeiten der Haut im Jahr 1875, dennoch ist die Forschungslage bis heute dünn. Die Angaben zur Häufigkeit schwanken: Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten. Außerdem sind wohl deutlich mehr Frauen als Männer unter den Patienten. Oft zeigen sich erste Symptome in der späten Kindheit oder während der Pubertät. Es gibt aber auch auffallend viele Betroffene, die zwischen 30 und 45 Jahren alt sind.

Gut zu wissen: In zahlreichen Fällen geht die Skin-Picking-Disorder mit weiteren psychischen Problemen einher. Die Klassifikation für dieses Krankheitsbild lautet nach ICD-10 “abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle, nicht näher bezeichnet”. Als Code wird F63.9 angegeben.

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Was sind die Ursachen der Skin-Picking-Disorder?

Über die Ursachen der Skin-Picking-Disorder ist bisher nicht viel bekannt. Man geht davon aus, dass die Patienten keine willentliche Kontrolle über ihr Verhalten haben und der Drang, die Haut zu bearbeiten, für sie einfach unwiderstehlich ist. Viele Patienten benutzen das Kratzen, Drücken und Knibbeln als Ventil, um Stress abzubauen, zu entspannen oder um sich abzulenken. Oftmals beginnt das Verhalten schleichend, meist in Phasen von massivem Leistungsdruck. Trauer und Traumata können ebenfalls auslösend wirken. Dann wird die Hautoberfläche obsessiv nach Pickeln, Mitessern, Mückenstichen oder Verkrustungen abgesucht, um diese auszudrücken oder aufzukratzen, bis die Haut blutet.

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Einige Betroffene zupfen auch an Ausschlägen oder sonnenbrandgeschädigter Haut herum, um ihrem Drang nachzugeben. Da unter den Patienten viele Jugendliche sind, die mit unreiner Haut zu kämpfen haben, liegt der Verdacht nahe, dass auch das gesellschaftliche Schönheitsideal eine große Rolle spielt. Glatte, makellose Haut gilt als erstrebenswert – wer Pickel oder Akne hat, wird oft zur Zielscheibe von Gleichaltrigen. Daher nehmen viele junge Menschen ihre Haut genau unter die Lupe und bearbeiten jede Hautunreinheit gnadenlos. Ein Teufelskreis entsteht: Die Haut leidet unter dem ständigen Quetschen und Drücken, reagiert mit Rötungen, Entzündungen und Narben. Diese sichtbaren Makel wiederum führen zu Scham und Selbstekel und werden von den Betroffenen mit stark deckendem Make-up oder langer Kleidung kaschiert.

Darüber hinaus scheinen auch biologische Faktoren an der Entstehung einer Skin-Picking-Disorder beteiligt zu sein: Bei manchen Patienten ist der Serotonin-Haushalt gestört. Dieser Nervenbotenstoff reguliert Empfindungen wie Angst, Aggression und Freude.

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Was sind die Symptome einer Skin-Picking-Disorder?

Viele Menschen tasten regelmäßig ihre Haut ab, zupfen gerne mal an abstehenden Hautschüppchen herum oder empfinden Befriedigung, wenn sie einen Pickel ausdrücken. Das ist nicht weiter schlimm. Krankhaft wird das Verhalten, wenn man grob gegen die eigene Haut vorgeht, vielleicht sogar Messer oder Scheren einsetzt. Menschen, die an einer Skin-Picking-Disorder leiden, pulen, kratzen und knibbeln so lange, bis Blut fließt und sich schmerzhafte, eiternde Wunden bilden.

Beliebte Stellen sind Gesicht und Kopfhaut, Finger und Nagelhaut sowie die Füße. Die Betroffenen finden das hautschädigende Verhalten zunächst angenehm, sie können damit kurzzeitig Langeweile oder Stress verarbeiten. Viele widmen sich völlig gedankenverloren ihrer Haut, etwa beim Fernsehen oder Lesen.

Andere wiederum entwickeln ausgeklügelte Rituale, um ihrer eigenen Haut aktiv zu Leibe zu rücken. Die Dauer des Kratzens, Drückens und Quetschens kann unterschiedlich ausfallen: Einige Patienten verbringen nur wenige Minuten damit, andere mehrere Stunden. Auch die Häufigkeit solcher Skin-Picking-Episoden variiert, die meisten Patienten beschäftigen sich aber mehrmals täglich mit ihrer Haut. Im Anschluss bereuen viele Betroffene ihr Verhalten und pflegen ihre Haut ausgiebig.

Sind die Folgen der Erkrankung, also beispielsweise Rötungen und Narben, deutlich sichtbar, ziehen sich viele Skin-Picker zurück. Sie vermeiden dann zum Beispiel Schwimmbad- oder Saunabesuche. Der Selbstekel kann sogar bis zur völligen sozialen Isolation führen.

Wie erkennt der Arzt die Skin-Picking-Disorder?

Dass es sich beim Skin-Picking um eine psychische Störung handelt und die Patienten das Verhalten nicht einfach abstellen können, wissen selbst viele Hautärzte nicht. Betroffene sollten daher einen Spezialisten aufsuchen oder zu einem Psychiater bzw. Psychotherapeuten gehen.

Der Arzt wird zunächst die Krankengeschichte erfassen und zum Beispiel fragen, wie oft und unter welchen Umständen der Patient seine Haut bearbeitet. Dies dient dazu, das zwanghafte Verhalten von einer normalen Gewohnheit zu unterscheiden. Außerdem wird der Mediziner die Verletzungen auf der Haut begutachten und den Patienten befragen, ob und wie sehr seine Arbeits- und Lebensweise unter diesen Handlungen gelitten hat.

Hat der Experte das Kratzen und Knibbeln als krankhaft eingestuft, muss er abklären, ob das Verhalten vielleicht anderweitige physische oder psychische Ursachen hat. Erst dann kann er die Diagnose “Skin-Picking-Disorder” bzw. “Dermatillomanie“”stellen. Im Anschluss können Tests durchgeführt werden, um herauszufinden, ob der Patient an weiteren psychischen Erkrankungen leidet, also ob er beispielsweise eine Depression oder Angststörung hat.

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Wie wird eine Skin-Picking-Disorder behandelt?

Ist die Krankheit erst einmal erkannt, können sich Skin-Picker Hilfe holen. Bewährt hat sich zum Beispiel eine kognitive Verhaltenstherapie. Gemeinsam mit dem Therapeuten erkunden die Patienten die Bedingungen, die zum Aufkratzen der Haut führen und bekommen Verhaltensalternativen aufgezeigt. Das sogenannte Habit-Reversal-Training soll zu einer Gewohnheitsumkehr führen, das zwanghafte Verhalten wird durch gesundes ersetzt.

Die Patienten lernen, ihre Hände anderweitig zu beschäftigen, etwa durch Stricken oder das Halten von Qi-Gong-Kugeln. Auch das Verschränken der Finger oder das Setzen auf die Hände können helfen, dem Kratz-Drang zu widerstehen. So sollen sich die Betroffenen das zwanghafte Verhalten abgewöhnen. Außerdem wird im Rahmen der Behandlung das Selbstwertgefühl der Skin-Picker gestärkt, ihr krankhaftes Streben nach Schönheit und Perfektionismus soll vermindert werden. Die Therapie kann durch die Gabe von Medikamenten ergänzt werden. Infrage kommen zum Beispiel Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, welche zu den Antidepressiva gehören.

Hautärzte und Kosmetikerinnen beraten Betroffene, welche Hautpflege sie anwenden können, damit Entzündungen besser abklingen und Verletzungen abheilen. Daneben gibt es verschiedene Maßnahmen, um die entstandenen Narben zu kaschieren oder zu entfernen. Zusätzlich zur Schulmedizin stehen alternative Ansätze wie Hypnose und Bachblüten zur Wahl. Neben der medizinischen Behandlung kann der Besuch von Selbsthilfegruppen dazu beitragen, das eigene Verhalten besser zu verstehen und Lösungsmöglichkeiten kennenzulernen.

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Wie kann ich der Skin-Picking-Disorder vorbeugen?

Bisher gibt es keine konkreten Maßnahmen, um einer Skin-Picking-Disorder vorzubeugen. Sind bereits psychische Probleme oder eine Neigung zu Zwangsstörungen bekannt, sollten die Betroffenen ihre Handlungen genau beobachten und rechtzeitig einen Fachmann aufsuchen.

Bei Kindern und Jugendlichen sind die Eltern gefordert: Nehmen Sie jede Form von Selbstverletzendem Verhalten (SVV) ernst und suchen Sie mit Ihrem Kind einen Arzt auf, wenn Sie selbst zugefügte Wunden auf dessen Haut entdecken.

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Wie sind die Heilungschancen bei Skin-Picking-Disorder?

Wer sich für eine kognitive Verhaltenstherapie entscheidet, hat gute Chancen auf Heilung. Zwar müssen sich die Patienten während ihrer Behandlung erst einmal ihren Ängsten und Zwängen stellen, was kurzzeitig zu einer Verschlechterung der Symptome führen kann. Doch langfristig hilft das Wissen um die individuellen Motive und Auslöser, die Krankheit selbstbestimmt in den Griff zu bekommen.

Persönliche Frühwarnzeichen und Risikosituationen werden identifiziert, sodass der Patient rechtzeitig mit neu erlernten Verhaltensweisen gegensteuern kann. Allerdings kann es vor allem in Stresssituationen immer wieder zu Rückfällen kommen. Dann kann es sinnvoll sein, noch einmal den Therapeuten aufzusuchen, um die bisherigen Erfolge und die Gründe für das erneute Skin-Picking genau zu analysieren.

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