Sternenkind Joshua: So war der Abschied von unserem Baby

08.02.2019 12:18

Sternenkind Joshua lebte einige Tage, doch dann kollabierte seine Lunge. Wie seine Eltern und sein Bruder Abschied nahmen, eine Sternenkind-Fotografin erzählt.

Inhalt

  1. Wenn ein Baby stirbt: Wie Sternenkinder-Fotografen helfen
  2. Sternenbaby: Unser Abschied von Joshua
  3. Immer wieder liefen die Tränen bei den lieben Eltern
  4. Vor der OP drückte Joshua die Finger seiner Mama
  5. Auch sein Bruder durfte sich von Joshua verabschieden
  6. Bald schickt dir dein Bruder Grüße aus dem Himmel
  7. Mehr Infos zu "Dein Sternenkind"

Wenn ein Baby stirbt: Wie Sternenkinder-Fotografen helfen

Jeden Tag machen hunderte ehrenamtliche Fotografen der Organisation Dein Sternenkind in Deutschland kostenlos berührende Fotos von Sternenkindern, also Kindern, die noch vor oder kurz nach ihrer Geburt gestorben sind, um den Eltern das Geschenk einer ersten und zugleich letzten Erinnerung zu machen.

Damit noch viel mehr Eltern von den Sternenkind-Fotografen erfahren und wissen, wen sie anrufen können, wenn sie sie einmal brauchen sollten, berichten immer wieder Sternenkind-Fotografen von ihren Einsätzen, ihren Begegnungen mit Sternenkindern – wie hier die Fotografin Tanja von Rohdenaus Kiel von ihrer Begegnung mit dem Sternenkind Joshua, seinen Eltern und seinem Bruder:

Sternenbaby: Unser Abschied von Joshua

„Ihr Lieben ... als der Anruf am Donnerstag von der Kinderintensiv kam, da dachte ich: Oh nein … nicht schon wieder. So viele Einsätze in der letzten Zeit … „Wir haben einen kleinen Jungen hier und wir wissen nicht, ob er es schafft. Die Eltern wünschen sich Erinnerungsfotos, kann einer kommen?“ so die Schwester der Station. „Der kleine Junge lebt“. Diese Einsätze sind so besonders …

Ich klärte mit meinen lieben Kieler KollegInnen von „Dein Sternenkind“ kurz ab, wer übernehmen kann, aber alle waren entweder unterwegs oder auf der Arbeit. Ich habe einen privaten Termin verschieben können und bin gleich losgedüst. Auf der Station angekommen hatte ich die Möglichkeit mit der freundlichen Krankenschwester zu sprechen, bevor ich das Zimmer betrat. Sie sagte mir, die Eltern seien im Zimmer und freuten sich, dass jemand da sei, um Erinnerungsbilder von ihrem Sohn zu machen.

Ich betrat das Zimmer, die lieben Eltern standen am Wärmebettchen. Und dann sah ich ihn, den kleinen großen Kämpfer Joshua. Er wurde beatmet und kleine Schläuche bedeckten seinen Körper. Ganz friedlich schlief er. Ich fragte die Eltern, was los ist und sie berichteten, dass sie in der 20 Schwangerschaftswoche erfahren haben, dass Makrozysten in der Lungeseien.

In der 25. Schwangerschaftswoche (SSW) wurde in Bonn ein sogenannter Shunt in die Zyste der Lunge des Babys gelegt, um die Flüssigkeit abzuleiten. Leider war diese Behandlung nicht erfolgreich. Man wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wie viel gesundes Lungengewebe überhaupt vorhanden sei. Es hieß abwarten und weiter hoffen.

In der 30+5 SSW kam Joshua auf die Welt und die Mama berichtet mir, dass der Start leichter war als befürchtet. Joshua kämpfte jeden Tag und die Eltern sagten: Solange er kämpft, sind wir an seiner Seite.

Ich habe Joshua das erste Mal gesehen, da war er sieben Tage alt. Am achten Tag wurde er operiert und der linke (kaputte) Lungenlappen wurde entfernt und die Ärzte sahen bei der OP einen kompletten rechten Lungenflügel, der gut belüftet werden konnte.

Erleichterung tat sich auf und alle waren voller Hoffnung. Die Mama sagte mir, sie waren überglücklich, denn nun könne doch nichts mehr schiefgehen. Von dieser guten Nachricht und der damit verbundenen großen Hoffnung, wussten wir noch nichts, an dem Tag als ich da war.

Immer wieder liefen die Tränen bei den lieben Eltern

Joshua zu bewegen oder aus dem Wärmebettchen zu nehmen war nicht möglich und so fotografierte ich alles, was möglich war. Seine kleinen Hände, seine Füße. Die Eltern streichelten ihn immer wieder.

Da Joshua überwacht wurde, konnte die Schwester zu jedem Zeitpunkt sehen, wie es ihm geht. Das Shooting sollte ihn auf keinen Fall anstrengen. „Das gefällt ihm“, sagte sie... er schlief ganz friedlich und seine Werte waren gut. Die Schwester brachte noch zwei kleine Kuscheltiere und die Eltern wählten eines für Joshua aus. Diesen „Kumpel“ durfte er behalten.

Die Blicke der Eltern waren so voller Liebe und so voller Schmerz. Immer wieder liefen die Tränen bei den lieben Eltern. Wie groß ist der Schmerz auch, sein kleines Baby dort an Schläuchen angeschlossen zu sehen, nicht so recht zu wissen, was die Zukunft bringt. Voller Hoffnung ... er ist so ein großer Kämpfer ...

Joshua hat einen großen Bruder. Marlon ist 4 Jahre alt und darf nicht mit auf die Intensivstation. Die Eltern zeigten mir vom Fenster aus die Stelle, an der er immer steht, um in einigen Metern Entfernung einen Blick ins Zimmer zu erhaschen. Er wusste ja, dass er einen kleinen Bruder hat und konnte natürlich nur schwer verstehen, warum er nicht zu ihm durfte.

Ich fand es toll, dass die Eltern diese Möglichkeit gefunden haben. Sie waren so viele Stunden am Tag weg, so viele Stunden, in denen sie dann natürlich keine Zeit für Marlon hatten, und so war er ein Stückchen mit einbezogen.

Irgendwann beschlossen wir, dass wir alles fotografiert haben, was die Eltern sich gewünscht hatten. Nach circa einer Stunde verließ ich die Familie und wünschte ihnen ganz, ganz viel Kraft und Hoffnung für die kommende Zeit. Ich verabschiedete mich von Joshua und sagte ihm, er solle weiter kämpfen ...

Es dauert immer ein paar Tage, bis ich die Mappe für die Eltern fertig gepackt habe. Die Bilder müssen bearbeitet und entwickelt werden. An dem Wochenende hatten wir Besuch von meinem Schwager und meiner Schwägerin. Ich hatte ganz viel um die Ohren, habe aber immer wieder an die so liebe Familie gedacht.

... am Sonntag lag der Umschlag fertig gepackt und versandfertig im Büro. Ich hatte an diesem Sonntag Besuch von meiner Familie und wir hatten uns gerade zum Kaffee zusammengesetzt. Dann klingelte mein Handy... ein erneuter Anruf von genau dieser Station....

Vor der OP drückte Joshua die Finger seiner Mama

Der kleine Joshua ist verstorben, die Eltern wünschen sich Bilder. Die ganze Familie sei versammelt um sich zu verabschieden. Ich dachte nur „Oh nein ...“ Mein Mann sah es mir sofort an. Ich war hin und her gerissen. Ich hatte am Samstag Geburtstag und die Familie war ja wegen mir zum Kaffee da. Konnte ich schon wieder einfach losfahren?

Ich schrieb kurz mit meinen Kollegen und fragte, ob wer Zeit hätte. Wusste aber, dass ich eigentlich fahren möchte. Die Familie kennt mich schon …. und nur wenige Minuten später entschied ich hinzufahren. Alles andere fühlte sich komisch an. Ich sah meinen Mann an, er sagte nur „Fahr!“ Danke Schatz, dass du immer hinter mir stehst. Ich glaube, ohne Rückhalt der eigenen Familie ist das aufgrund der Anzahl der vielen Einsätze hier in Kiel nicht zu schaffen ...  Ich nahm noch schnell einen Schluck Kaffee, den Kuchen rührte ich nicht an. An Hunger war in diesem Moment nicht zu denken. Der kleine, süße Joshua dachte ich. Nun hat er seinen Kampf doch verloren.

In der Nacht zu Sonntag kollabierte seine Lunge und am Sonntag war eine OP nötig. Die Mama streichelte Joshua, hielt seine Hand vor der OP. Er öffnete die Augen und drückte zweimal den Finger der Mama ... dann ging es in den OP.

Joshua hat diese OP leider nicht überlebt. Ich glaube ganz fest, er wusste das und hat sich so von seiner Mama verabschiedet.

Im UKSH angekommen, betrat ich das Zimmer in dem ich nur drei Tage zuvor war. Die Mama saß am Fenster, mit Joshua auf dem Arm. Der Papa stand daneben und die Omas von Joshua waren mit im Raum.

Ich sah den Kleinen an und streichelte ihn. Ach Süßer ... der Plan war aber ein anderer... das sagte ich zu ihm. Die Mama streichelte ihn ... ja... der Plan war anders... Ich drückte die Eltern und sagte ihnen, wie leid es mir tut ...

Zwei Schwestern waren mit im Zimmer. Die eine verabschiedete sich von der Familie und beugte sich zu Joshua runter. Sie streichelte ihn liebevoll. Mir laufen die Tränen, wenn ich an diese Situation zurückdenke. Sie sprach mit ihm, wünschte ihm eine gute Reise. Alle im Raum weinten ... so schwere Stunden ...

Auch sein Bruder durfte sich von Joshua verabschieden

Kurze Zeit später kam der Opa mit dem großen Bruder Marlon hinein und wenige Augenblicke später Joshuas Onkel. Nun habe ich schon so viel geschrieben und komme jetzt erst zu dem Punkt, warum es mir so wichtig ist, euch von diesem Einsatz zu berichten!

Joshuas Bruder durfte ihn sehen. Die Eltern haben Marlon die Möglichkeit gegeben, seinen Bruder kennenzulernen, ihn anzuschauen, vielleicht sogar ihn zu berühren, ihm ein Kuscheltier zu geben... und sich von ihm zu verabschieden.

Für viele Menschen ist das undenkbar und für ‚Nichtbetroffene‘ nicht so leicht nachvollziehbar, denn viele meinen, die Kinder müssen geschützt werden.Dürfen doch ihr totes Geschwisterchen nicht sehen ... Welch’ Trauma würden sie erleiden. In diese Richtung gehen ganz viele Gedanken. Aber ich kann euch sagen: Aus meiner Erfahrung ist genau das Gegenteil der Fall.

Kinder gehen so unbefangen mit dem Tod um. So viele Erwachsene haben so große Probleme damit. Eine betroffene Mutter geht im Dorf spazieren und bemerkt wie eine Bekannte in weiterer Entfernung die Straßenseite wechselt - nur um nicht mit ihr sprechen zu müssen. Warum? Weil wir nicht gelernt haben, mit dem Thema Tod umzugehen. Sie hat die Seite gewechselt, weil sie die Mama wahrscheinlich nicht ansprechen wollte. Sie wollte vielleicht nicht, dass sie traurig ist oder weinen muss.

Aber ganz ehrlich: Natürlich ist die Mama traurig. Sie hat ja gerade ihr Kind verloren. Und wahrscheinlich hätte sie geweint, wäre sie angesprochen worden … und??? Ein dicker Drücker und ein „Es tut mir sehr leid“ wäre genau das Richtige gewesen. Diese betroffene Mama sagte mir, diese Situationen waren so schlimm.

Ich möchte euch ermutigen, mit den betroffenen Eltern zu sprechen. Wenn sie nicht reden wollen, dann werden sie es euch sagen. ‚Du, sei mir nicht böse, heute ist ein schlechter Tag, ich mag nicht reden‘. Dann ist es gut, aber man hat Anteil genommen. Vielleicht denkt ihr an meine Worte, solltet ihr mal in so eine Situation kommen.

Und aus dem Grund glaube ich, können sich viele nicht vorstellen, die eigenen großen Kinder mit einzubeziehen. Weil sie sie schützen wollen. Aus meiner Sicht der falsche Weg und aus dem Grund möchte ich euch von Marlon berichten. Wie er mit der Situation umgegangen ist, wie die Familie damit umgegangen ist …

Als Marlon das Zimmer mit seinem Opa betrat, ging er gleich zu seiner Mama und dem kleinen Joshua. Er sah ihn an und ging ganz unbefangen mit der Situation um. Die Mama fragte ihn, ob er ihn auch mal halten möchte und Marlon setzte sich auf den Sessel. Joshua wurde ganz vorsichtig in Marlons Schoß gelegt. Ihr hättet ihn sehen sollen. Er war richtig stolz, dass er ihn halten durfte.

Marlon durfte den Kleinen vorher ja nicht sehen und heute durfte er ihn kennenlernen … und sich von ihm verabschieden, wobei er das sicher nicht verstanden hat, was ein ‚Tschüss‘ sagen in dem Moment bedeutet.

Ich fing an, die Situation zu fotografieren. Marlon sprach mit seiner Mama, sie schauten sich die süßen Finger an, seine Ohren ... Joshua‘s Schlauch durfte noch nicht entfernt werden und auch da fragte Marlon ganz interessiert, wofür dieser sei. Die Mama erklärte ihm alles.

Bald schickt dir dein Bruder Grüße aus dem Himmel

Ich zeigte Marlon zwei Schmetterlinge und er durfte sich einen aussuchen. Ich erklärte ihm, dass der andere Schmetterling bei Joshua bleibt, und immer, wenn er nun einen echten Schmetterling sieht, dann schickt Joshua ihm einen Gruß aus dem Himmel.

Marlon ‚gab‘ Joshua seinen Schmetterling und spielte Fliegen mit dem anderen ... Es schien, als sei dies eine ganz normale Situation, in dieser so unvorstellbar schweren Zeit. Marlon hat ein paar Minuten ... ich finde schwer ein Wort ... vielleicht trifft ‚Leichtigkeit‘ es ein bisschen ... in diesen von so schwerer Trauer belagerten Raum gebracht. Er gab seinem Bruder auch ein Küsschen und streichelte ihn.

‚Mama, nimmst du Joshua jetzt mit nach Hause?‘ fragte er auf einmal. Die Mama erklärte ihm, dass dies nicht gehe und Joshua dableiben muss. Kurz darauf sagte Marlon, dass er Hunger hat ... Kinder sind total unbefangen, das möchte ich euch auch mit den Worten von Marlon widerspiegeln.

Die Mama fing zwischendurch immer wieder an zu weinen, da kuschelte sich Marlon an sie ran. Es ist auch komisch, die Mama so zu erleben. Aber er wird es verstehen, denn er weiß ja jetzt, warum seine Mama und auch sein Papa in der Zukunft traurig sind, dass sie weinen, weil sie Joshua nicht mit nach Hause nehmen durften.

Wie hätte er es verstehen sollen, hätte er seinen kleinen Bruder nicht kennenlernen dürfen. Warum ist Mama so traurig ... das Baby war doch nie da ... Versteht ihr, warum es so wichtig ist, auch die Kinder mit einzubeziehen?

Wir machten noch ganz viele Bilder. Auch die Omas haben sich getraut und wollten Erinnerungen haben. Marlon spielte währenddessen mit den beiden Schmetterlingen ... und irgendwann verabschiedete ich mich mit schwerem Herzen.

Einige Tage später schrieb mir die Mama. Marlon spricht fast jeden Tag von Joshua. Sie glaubt, dies wäre ohne das Kennenlernen nicht so. Marlon bezieht Joshua auch ins Spielen ein. So musste seine Mama einmal einen großen Joshua spielen... denn der Kleine ist ja leider tot und sitzt auf einer Wolke, so sagte Marlon es. ‚Und kann nun nicht mit ihm hier spielen.‘

Diese Worte gehen mitten ins Herz. Zum einen tun sie weh, weil Marlon nie mit seinem Bruder spielen kann... zum anderen ist es so toll, dass Marlon sich ‚so‘ verhält. Ein ganz wichtiger Schritt. Er verarbeitet. Und hilft auch so der ganzen Familie ein ganz großes Stück.

Die Familie möchte andere Eltern ermutigen, auch diesen Schritt zu wagen. Lasst eure Kinder teilhaben. Lasst sie ihr Geschwisterchen kennenlernen ...

Ihr lieben Eltern ... ich danke euch von Herzen, dass ich euren Joshua, Marlon und euch kennenlernen durfte - und dass ich eure Geschichte erzählen darf. Um weiter aufzuklären, dass es uns gibt, uns Sternenkind-Fotografen von DEIN Sternenkind und dass jeder zumindest darüber nachdenken sollte, es den großen Kindern zu ermöglichen ihr kleines Geschwisterchen kennenzulernen und Abschied zu nehmen ... denn die Zeit, die es hier sein darf, ist nur so gering. Es hilft den Kindern, zu verstehen ...“

Mehr Infos zu "Dein Sternenkind"

Die Sternenkind-Fotografen stehen den Eltern in der dunkelsten Stunde ihres Lebens bei, wenn sie den Tod ihres Kindes aushalten müssen, wo eigentlich das Leben beginnen sollte. Für dieses mutige und liebevolle Engagement wurde „Dein Sternenkind“ im Dezember 2017 mit dem Deutschen Engagement Preis geehrt.

Wer mehr über „Dein Sternenkind“ erfahren möchte, findet auf der Internetseite der Initiative viele weitere Informationen und auch viele andere Erfahrungsberichte von Fotografen.

Außerdem stellen wir euch in diesem Artikel eine Sternenkind-Fotografin vor:

Trauer-Bilder: Katrin Langowski fotografiert Sternenkinder

Vielen Dank, dass wir die Geschichte von Joshua auch auf Wunderweib.de erzählen dürfen. Wir wünschen den Eltern und Marlon von Herzen alles Gute für ihre Zukunft!

Quelle