Värmland: Der perfekte Ort für Aussteiger auf Zeit

06.05.2019 12:27

Elche, Seen, Wildnis, Wälder und ein Holzfällerteller am Lagerfeuer: Die mittelschwedische Provinz Värmland ist das perfekte Terrain für Aussteiger auf Zeit

Am Feuer

Ehe Thomas Peterson zu Tisch bittet, hat er die Kettensäge sprechen lassen. Unsere Teller sind zentimeterstarke Scheiben, die der Gastgeber aus einem Birkenstamm geschnitten hat. Das ist sehr praktisch, weil es den Abwasch spart. Nach dem Mahl wandern die Holzfällerteller ins offene Feuer, auf dem wir zuvor unser Mittagessen zubereitet haben. In kleinen Pfannen an langen Stie­len haben wir Speckwürfel ausge­bra­ten, Pfiffer­linge dazugegeben, schließ­lich Pfann­kuchenteig darüber gegossen – fertig. Kolbulle heißt das Gericht, nahr­hafte, einfache Kost, mit der sich die Waldarbeiter nahe der norwegischen Grenze schon immer bei Kräften gehalten haben. Schlicht ist auch sonst alles in Naturbyn. In dem Freiluftkamp bei Långserud in der Provinz Värmland fließt kein Wasser aus der Leitung, dafür hat Thomas eine Quelle angezapft, und es gibt den nahen Eldan-See. Holzfeuer liefern Energie zum Grillen und Kochen, für den Warmwasserkessel der Dusche, den Saunaofen. Kerzen bringen den Kronleuchter der offenen Gemeinschafts­­hütte zum Leuchten – und sie bringen Licht ins Dunkel der Plumpsklos.

Värmland, das ist ländliches Schweden: falunrote Gehöfte auf Wiesen­hügeln, Wälder, nicht mehr über­all urwüchsig und an den Normen der Holz­indus­trie ausgerichtet, aber immer noch endlos, voller Wild­leben und üppiger Flora. Außerdem verfügt die Pro­vinz über rund 10000 Seen und Flüsse zum Schwimmen und Paddeln. Naturbyn ist wie die Es­senz von alledem. Das Holzschild an der Einfahrt benötigt nur vier Lettern, um zu sagen, worum es hier geht: SLOW. Ohne die Segnungen moderner Technik brauchen die Verrichtungen des täglichen Lebens Überlegung und Zeit, und Reisende kommen zur Ruhe.

Thomas Peterson war früher UN-Soldat im Libanon. Nach seiner Dienstzeit kam er auf die Idee, auf dem väterlichen Waldgrund ein einfaches Hüttendorf zu errichten. Als gelernter Zimmermann hat er eigen­händig drei grasgedeckte Block- und zwei Baumhäuser gebaut, im Wald verteilt und stil­echt ausgestattet. Komfortable Betten sind – neben der Stille des Waldes – der einzige Luxus in Naturbyn. Das größere Manko ist der fast leere Akku des Smartphones. Messer und Beil sind die wirklich wichtigen Werk­zeuge, hatte Thomas Peterson gesagt, und dann war er zwischen den Kiefern verschwunden – mit einem Handy am Ohr (Hütte für 4 Selbst­ver­sorger, inklusive Sauna- und Kanunutzung, ab circa 209 €/Nacht).

Värmland vom Wasser aus erleben

Ein Sommerregen, der von kräftigem Westwind über den Glafsfjorden getrieben wird, macht die geplante Kanu-Tour zu einer kabbeligen Angelegenheit. Man müsste am Ufer entlangpaddeln, auf den großen See hinauszufahren, daran ist gar nicht zu denken. Deshalb beschließe ich, einen Ausflug in den nahegelegenen Ort Arvika zu machen und mir eine Fika zu gönnen, eine schwedische Kaffeepause. Bei Elins Bakgård werden dazu Zimtschnecken und Schokoladentrüffeltorte gereicht. Bei kommoderem Wetter bietet das Kanu-­Center nahe Arvika Touren auf den Flüssen und Rinnenseen der Gegend an, die sich über drei bis sieben Tage bis hinauf nach Norwegen und hinunter zum Vänern-See ziehen, Ausrüstung und Verpflegung inklusive.

Das schwedische Jedermannsrecht erlaubt es, sich in der Natur frei zu bewegen, Früchte zu pflücken und für ein bis zwei Nächte an jedem Ort zu zelten. Kein Rechtsanspruch besteht darauf, dass ein Hecht oder Barsch den Köder nimmt, der hinterm Kanu an langer Leine durch klares Wasser wobbelt. Aber dass abends auf einem Inselchen im See ein Zelt unter Kiefern steht, dass davor auf offenem Feuer der Tagesfang im Licht der sinkenden Sonne schmurgelt – die Chance dafür ist in Värmland ziemlich gut.

Mein Zelt ist ein Tipi, ich habe mich beim Kanuverleiher eingemietet. »Wir bringen unser Leben in rechteckigen Käs­ten zu, völlig widernatürlich. In der Natur ist alles rund. Seht euch an, wie eine Gruppe von Tieren sich zum Schlafen legt – natürlich im Kreis.« Luc Dodeman hat das Dasein als Feuerwehrmann in den eckigen Kästen von Paris gegen die värmländische Wildnis getauscht und das Kanu-Center übernommen. Er gibt uns, vier zufällig zusammengewürfelten Kerlen, Layout-Empfehlungen für die Nacht: Luc meint ernsthaft, dass wir sie gemeinsam auf Rentierfellen verbringen sollten. Glücklicherweise ist das Tipi so geräumig, dass jeder seine territoriale Integrität wahren kann (Kanutouren inklusive Ausrüstung, Routenbeschreibung, Transfer zum Startplatz: für 3 Tage ab 121 € pro Person, für 7 Tage ab 139 € pro Person, Übernachtung im Tipi ab 5 € pro Person/Nacht).

Auf Elchsafari im Wald

Die große Hoffnung ist die Begegnung mit einem Elch, und James Gegg weiß, wo einer zu finden ist. »Wenn du in einem der Seen tauchst, hast du keine schlechte Chance, dass dir ein Elch entgegenkommt. Im Sommer wird ihnen warm unter ihrem dichten Fell. Sie sind hervorragende Schwimmer und tauchen bis zu sechs Meter tief, um sich abzu­kühlen.« An Land empfiehlt der Elchflüsterer, sich an höher gelegene Waldre­gionen zu halten und frei geschlagene Flächen zu suchen, auf denen fetter Klee wächst, der den Elchen schmeckt. Und den Waldrand zu inspizieren, wo die Tiere gern stehen, weil sie dort rasch Deckung finden. Wasser sollte auch in der Nähe sein – in Värmland kein Problem

Wenn das alles nicht hilft, bleibt noch der Besuch des Elchparks, den James Gegg in Ekshärad betreibt. Frisches Birkengrün und ein Eimer voll Gemüse locken prompt Alfie und Klara aus ihrem weitläufigen Gehege so nah heran, dass sie sich von den Besuchern knutschen lassen. James gibt unterdessen alles zum besten, was man über Elche schon immer wissen wollte: dass sie – Vorsicht bei der Annäherung – einen Blitzstart hinlegen und selbst einen Bären mit einem Rammsprung plattmachen können. Dass sie sich im Herbst gern an vergorenen Äpfeln einen Rausch anfressen. Dass sie in freier Wildbahn im Schnitt nur fünf Jahre alt werden, auch weil von den 300000 schwedischen Elchen jährlich 100000 abgeschossen werden. Weswegen sich Bulle Emil im Alter von sieben Jahren glücklich schätzen kann, als Fulltime-Elch in Ekshärad angestellt zu sein. Und dass Elchkuh Lotta mit Kind und Karriere keine Pro­bleme hat und am vierten Tag nach der Geburt ihres Kalbs die Rolle als Chefin der Herde wieder voll ausfüllt (Elch­touren 20 € pro Person, Übernachtungs­möglichkeit in nahegelegenen Hütten 32 € für 2 Personen/Nacht).

Anreise nach Värmland

Mit dem Auto die Nachtfähre von Kiel nach Göteborg nehmen, bis Karlstad sind es etwa 250 Kilometer. Von Oslo gibt es eine gute Bahnverbindung Richtung Karlstad.

Quelle