Vielleicht werden wir Deutsche Trump noch dankbar sein

13.02.2024 10:25

Der womöglich nächste US-Präsident lädt Wladimir Putin zum Angriff auf die Nato-Partner in Europa ein. Das könnte ein heilsamer Schock für Deutschland sein.

"Sie haben nicht bezahlt? Sie sind säumig? Nein, dann würde ich Sie nicht beschützen. Ich würde Russland sogar ermutigen zu tun, was immer es will." 

Diese Drohung Donald Trumps, die europäischen Nato-Partner im Fall eines Angriffs im Stich zu lassen, war eine verantwortungslose Provokation. Ein US-Präsidentschaftskandidat, der den Kriegstreiber Wladimir Putin zu einer Attacke auf das Bündnisgebiet förmlich auffordert: Bis zu Trumps Wahlkampf-Auftritt am Samstag in South Carolina war so etwas kaum vorstellbar.

Trotzdem: Vielleicht werden gerade wir Deutsche Donald Trump irgendwann dankbar sein. Dafür, dass er uns gerade noch rechtzeitig heimgeläutet hat, was deutsche Politiker und Militärs meist nur als Abstraktion über die Lippen bringen. Anders als manche ihrer europäischen Kollegen. 

"Schaut Euch die Nachrichten aus der Ukraine an und fragt Euch: Wenn das bei uns passiert, bin ich darauf vorbereitet?" Mit diesen Worten wandte sich Schwedens Armeechef Micael Bydén Anfang Januar im Fernsehen an die Bürger.

Der Nato läuft die Zeit davon

"Uns läuft die Zeit davon", legte kurz darauf sein norwegischer Amtskollege Eirik Kristofferson nach. "Wir haben jetzt ein Zeitfenster von ein, zwei, vielleicht drei Jahren, um noch mehr in unsere Verteidigung zu investieren."

Vergangene Woche war Polens Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz an der Reihe. Deutschlands östliches Nachbarland müsse sich auf einen Krieg mit Russland vorbereiten. Das sei "nicht einfach so dahergesagt".

In Deutschland aber klingt das bisher so: "Eines Tages", möglicherweise in fünf bis acht Jahren, könnte Wladimir Putin "ein Nato-Land angreifen" (Boris Pistorius, Verteidigungsminister). Oder so: Es kann sein, dass wir "vielleicht einmal einen Verteidigungskrieg führen müssen, und nicht mehr die Wahl haben, ob wir uns an einem Einsatz weit weg beteiligen wollen" (Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr). 

Der Kanzler selbst schweigt großflächig und wenn er sich äußert, dann meist aus der sicheren Deckung des Konjunktivs.

"Bedrohung = militärische Fähigkeiten mal feindliche Absichten"

Anruf bei Kevin Ryan, General i.R. der US-Armee, jahrelang in Deutschland stationiert und als Verteidigungs-Attaché an der US-Botschaft in Moskau. Er werde immer wieder gefragt, sagt der Kenner der russischen Streitkräfte, ob Russland so verrückt sein könnte, ein Nato-Land anzugreifen. Auf diese Frage antwortet der General mit einer prägnanten Formel: "Bedrohung = militärische Fähigkeit mal feindliche Absicht." 

Zum ersten Faktor "Fähigkeiten" sei die Lage ziemlich eindeutig. "Die Russen haben die größte Land-Armee in Europa aufgebaut. Und sie vergrößern sie weiter. Sie geben mehr für Rüstung aus. Ihre Militärindustrie läuft 24/7 auf Hochtouren", sagt der General. "Wozu das alles? Für den Krieg in der Ukraine jedenfalls nicht."

Faktor zwei, "feindliche Absichten", sei schwieriger einzuschätzen, so Ryan. Aber die Kriegsrhetorik aus Moskau zeige in eine klare Richtung. "Putin und seine Leute sagen, sie fühlten sich vom Westen existenziell bedroht. Sie sagen, die Bedingungen, die zum Einmarsch in die Ukraine führten, bestehen auch anderswo entlang Russlands Grenze", so der US-General. "Schauen Sie auf die Landkarte: Sie haben sich die Krim geholt, sie kämpfen in der Ukraine, sie kontrollieren Belarus. Da drängt sich die Frage auf: Was haben sie im Baltikum oder Finnland vor?"

Von Berlin aus sind es Luftlinie 800 Kilometer bis zur litauischen Hauptstadt Vilnius. Bis nach Helsinki 300 mehr. "Weit weg" ist anders. Auch das "vielleicht einmal" buchstabiert Ryan aus: Wenn die russische Militärökonomie so weiterlaufe wie jetzt, dann ist Russland "in drei, fünf oder sechs Jahren" zu einem solchen Angriff fähig. "Auch wenn es uns heute lächerlich erscheint."

Es gibt wichtigere Themen als Wärmepumpe und Treckerdiesel

Es wird Zeit, dass auch wir Deutsche – und unsere Politik – die Prioritäten dieser veränderten Lage anpassen. Es gibt wichtigere Themen als Wärmepumpe und Treckerdiesel. Noch tobt der Krieg nur in der Ukraine. Doch es geht längst auch um unsere Freiheit und unsere Sicherheit. Und die Frage, wie wir uns als Gesellschaft auf die Bedrohung durch Russland einstellen.

Zu viele bei uns wiegen sich noch in trügerischer Sicherheit oder hegen womöglich im Stillen die Hoffnung, Deutschland werde mit Russland schon wieder ein Auskommen finden. 

Doch es gibt kein Zurück in die Welt vor dem 24. Februar 2022.

Wenn die Wahlkampf-Provokation des irrlichternden Vielleicht-Bald-Wieder-Präsidenten Trump hilft, das denen hierzulande klar zu machen, die es bisher nicht wahr haben wollten, dann: Thank you, Mister Trump!

Quelle