Wellness-Stress: Wenn der Urlaub zum Stressfaktor wird

13.10.2021 11:22

Die Urlaubs-Saison steht vor der Tür – und mit ihr die Angebote von Wellness- und Clubhotels. Viele begeistern mit einer scheinbar unendlichen Auswahl an Freizeitaktivitäten. So geraten selbst routinierte Reisende, wie die Wellnesshotel-Testerin Andrea Labonte, manchmal in Erholungsstress.

Der Wellness-Stress

Ich möchte mich ja so gerne entspannen, habe aber für eine solch triviale Zielsetzung keine Zeit. Denn das Wellnesshotel, in dem ich für ein Wochenende weile, lockt mit über 5.000 Quadratmetern Spa-Fläche und liegt inmitten malerischster Natur. Es ist das Paradies auf Erden. Hier werden rund um die Uhr die schmackhaftesten Köstlichkeiten kredenzt, sodass ich immer irgendwie auf dem Sprung ins nahgelegene Schlaraffenland bin. Und wenn ich nicht gerade deliziöse Tintenfischringe schnabuliere oder den mit Parmesan gespickten Rucola Salat knabbere, versuche ich die eben verzehrten Kalorien auf optimale Weise wieder loszuwerden, mich unter Anleitung zu entspannen oder mich auf die Suche nach dem idyllischsten Plätzchen dieses Wellness Eldorados zu begeben.

Urlaubs-Attraktionen: Wer die Wahl hat, hat die Qual

Und so peitscht mich mein E-Bike am Morgen die Berge hoch und runter, während ich die pittoreske Landschaft in mich aufsauge. Das Leben besteht aus Erinnerungen. Daher möchte ich aus diesem kurzen Wellnesstrip das Beste rausholen. Doch so schön die Fahrrad-Tour auch ist, mehr als eine Stunde bleibt mir nicht, dieses herrliche Fleckchen Erde näher zu erkunden. Denn um 12 Uhr lockt eine Klangschalen-Meditation, die ich unbedingt erleben will! Also zurück ins Hotel und ab auf die Yogamatte, um dem Gong und den Klangschalen zu lauschen. Welch‘ ein Erlebnis!

Ich wähne mich unter Wasser und staune über die walartigen Klänge und bizarren Schwingungen, die meinen Körper bis ins Innerste vibrieren lassen. Ich wache von meinem eigenen Schnarchen auf. Aber bloß keine Müdigkeit vorschützen! Gleich im Anschluss wird Bauchmuskel-Training angeboten. Eine Muskelpartie, die zu Hause gänzlich missachtet wird. Da ist dieser Kurzurlaub doch die Gelegenheit. Tatsächlich bin ich nach wenigen Trainings-Minuten ziemlich außer Puste. Der einzige Gedanke, der mich und meinen malträtierten Bauch bei Laune hält, ist der der bevorstehenden Kaffeepause. Die Mini-Himbeer-Tartes sind auch wahrlich ein Gedicht. Kurzzeitig bin ich sogar versucht, einen zweiten Gang zum Buffet einzulegen. Das geht allerdings nicht, denn mein Kopf hat ein Rendez-Vous. Und zwar mit Ulrike, einer Kosmetikerin, die meinem Gesicht zu neuer Strahlkraft verhelfen soll. Ulrike hat begnadete Hände und ich dämmere zum zweiten Mal an diesem Tag weg.

Mondschein-Aufguss oder Sonnenaufgangs-Wanderung?

Mittlerweile ist es früher Abend und ich bin weder im neuen Rooftop-Pool meine Bahnen geschwommen noch im Sole-Panorama-Pool gefloatet. Auch habe ich bislang an keinem der unzähligen Sauna-Aufgüsse oder Peelings im Rosen-Dampfbad teilgenommen. Vielleicht schaffe ich es ja in den Mondschein-Aufguss kurz vor Mitternacht? Allerdings würde dieser mit der Sonnenaufgangs-Wanderung kollidieren. Diese findet am nächsten Morgen noch vor Hahneskrähen um 3.30 Uhr statt. Was würden das für unvergessliche Erinnerungen: Der Berg, die aufgehende Sonne und ich. Ein bisschen Schlaf wäre allerdings auch nicht schlecht. Gerade jetzt bin ich zugegebenermaßen schon ziemlich müde. Daher steuere ich eines der Wasserbetten an. Allerdings habe ich nach zehn Minuten das Gefühl, hier etwas zu verpassen. Ist es im duftenden Rosengarten auf der Schwebeschaukel nicht schöner? Ich ziehe um und genieße den noch grandioseren Blick auf die Berge, das Plätschern des Baches und das Vogelgezwitscher.

Wo ist sie hin, die Langeweile?

Während ich so langsam vor mich hinschaukele stelle ich mir die Frage: „Was ist aus der guten alten Langeweile im Urlaub geworden? Oder der vollkommen unproduktiven Kontemplation?“ Alles folgt einem Sinn, und wenn es nur um die leidige Selbst-Optimierung geht. Die Muskeln müssen gestählt, die Augenbrauen gezupft und der Geist fokussiert werden. Und während meine Reisebegleitung mir vorschlägt, am nächsten Tag einen Golf-Schnupperkurs zu absolvieren, fasse ich einen Entschluss: Morgen konzentriere ich mich auf das Wesentliche! Und zwar Entspannung am Pool mit phantastischer Aussicht. Denn die Wolken müssen unbedingt beobachtet, das Buch muss gelesen und den Träumen muss auf jeden Fall nachgehangen werden. Denn manchmal ist weniger mehr, selbst im Wellness-Urlaub.

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