Wenn der Wunsch nach Enkelkindern unerfüllt bleibt

26.10.2020 14:10

Es schmerzt, wenn sich der Wunsch nach einem Enkel nicht erfüllt. Was eine Expertin ungewollt enkellosen rät.

Betty (69) und Sandra (46) sind ein eingespieltes Mutter-Tochter-Team. Und doch steht diese eine drängende Frage zwischen ihnen.

Unter dem Video geht der Artikel weiter.

Mutter Betty wäre gerne Oma geworden

Wichtige Dinge bespricht die Tochter mit ihrem Vater, ihre Mutter kann sich das nicht erklären und fühlt sich ausgeschlossen.

Ja, ich weiß, ich habe nur einen Volksschulabschluss, aber ich habe ein großes Herz, wie meine Freundinnen immer sagen. Und ja, ich bin stolz auf meine Tochter! Sandra hat etwas aus ihrem Leben gemacht, sie ist leitende Angestellte in einer Bank.

„Kind, warum willst du kein Kind?“

Traurig finde ich nur, dass sie mich nicht zur Oma gemacht hat. Auf meine Frage "Kind, warum willst du kein Kind?" hat sie mir leider nie eine Antwort gegeben.

Mutter und Tochter konnten nie offen über Probleme sprechen

Es gibt doch nichts Schöneres, als eine große Familie zu haben. Ich weiß, wovon ich spreche, denn weil meine Eltern sich früh trennten, wuchsen meine zwei Geschwister und ich bei Verwandten auf. Das war bestimmt nicht ideal, und ich erinnere mich, dass ich mich schon mal in den Schlaf weinte. Aber das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken. Nur: Hätte ich Sandra damit behelligen sollen? Besser nicht! Alles soll harmonisch ablaufen, selbst wenn ich dafür zurückstecken muss. Jeder hat sein Päckchen zu tragen.

Meine Tochter ist ein Papa-Kind. Schon als sie klein war, ist sie mit Problemchen lieber zu ihrem Vater gelaufen. Ich habe nie etwas gesagt, aber verletzt hat es mich schon sehr, bis heute bin ich oft außen vor, wenn es etwas zu besprechen gibt. Etwa als Sandras Ehe zerbrach, wusste ich nie: War sie traurig oder erleichtert?

Häufig höre oder lese ich davon, dass Mutter und Tochter beste Freundinnen sind, sich alles anvertrauen, selbst intimste Dinge. Was läuft bei denen anders? Klar helfe ich Sandra, so gut ich kann. Etwa mit einem leckeren Kuchenrezept oder ich hüte ein, wenn sich der Heizungsableser anmeldet. Aber ihre engste Vertraute? Nein, die bin ich nicht!

Warum Tochter Sandra ihrer Mutter keine Enkelkinder geschenkt hat

Sandra mochte das Tabuthema nicht ansprechen. Aus Angst vor einem endgültigen Bruch.

Klar finde ich Kinder süß, ich liebe die Kleinen meiner Cousins und Cousinen. Aber ich selbst wollte nie welche, habe mich früh für den Job und gegen eine Familie entschieden. Mein Ziel war immer: ein eigenes Konto, Geld, über das ich verfügen kann, ohne mich zu recht fertigen, wie es meine Mutter tun musste. Sich kleinmachen, von Papa Haushaltsgeld zugewiesen oder ab und zu einen größeren Schein zugesteckt bekommen, um sich mal was Hübsches zu kaufen – nein danke! Mama wollte stets eine große Familie, aber ich blieb ein Einzelkind. Ich glaube, Papa wollte das so.

„Ich liebe meine Mutter über alles und möchte ihr nicht wehtun.“

Mama kommt aus einer ziemlich kaputten Familie. Ihre Mutter, meine Oma, haute ab, als Mama klein war. Und sie? Entschuldigt das sogar noch. "Warum willst du kein Kind?", hat sie mich in den ersten Jahren meiner Ehe ständig gefragt. Bis sie einsah, dass Thorsten zu viele Macken hatte, um ein guter Vater zu sein.

Die ganze Wahrheit hätte ich ihr nie sagen können: Mama, ich möchte keine Kinder, weil ich nicht werden will wie du! Eine Frau ohne Beruf, ohne eigenes Geld und Selbstbewusstsein. Eine, die mir Super-Haushaltstipps gibt, aber nicht weiß, wie man eine E-Mail schreibt. Es wäre sicher besser, wenn wir offen miteinander sprächen, aber ich fürchte den Bruch. Denn auch wenn ich meine Mutter oft nicht verstehe, liebe ich sie über alles und möchte ihr nicht wehtun. Inzwischen bin ich von Thorsten getrennt und mit Kai zusammen, glücklich. Ich werde demnächst 47 – die Frage nach Kindern stellt sich für mich jetzt nicht mehr!

Das rät die Psychologin

Petra Schäfer-Timoner, Psychotherapeutin und Heilpraktikerin aus Berlin schätzt die Situation folgendermaßen ein:

So fügen sich die Puzzleteile zusammen

Mutter und Tochter, das ist eine Ur-Symbiose, die uns prägt wie keine andere. Und das ist nicht verwunderlich, schließlich wachsen wir im Körper der Mutter heran, sind verbunden mit ihrer Seele – eine große Ähnlichkeit, die die ersten Lebensjahre prägt. Die zweite wichtige Phase ist die Pubertät. Jetzt grenzt sich die Tochter ab, will raus aus dem Kokon und eigene Wege gehen. Nun kommt auch die Genetik des Vaters ins Spiel, die den Ablösungsprozess noch beschleunigt. Also alles normal so weit!

Traumatische Erlebnisse reichen bis in die nächste Generation

Mit Beginn der 20er-Jahre tritt dann wieder eine Annäherung ein, eine Beziehung auf Augenhöhe. So ist es im Idealfall. Geschieht das aber nicht, sondern ist bei der Tochter eher eine Ablehnung zu spüren, kann das bedeuten, dass Dinge im Leben der Mutter vorgekommen sind, über die dringend gesprochen werden muss. Was Betty im frühkindlichen Alter passiert ist, nämlich von der Mutter verlassen zu werden, ist eine Katastrophe, die ihr weiteres Leben nachhaltig geprägt hat. Es erklärt ihr Harmoniebedürfnis, ihre Sehnsucht nach Anerkennung, ihre Angst vorm Verlassenwerden, das Bestreben nach einer heilen Welt, zu der auch Kinder gehören.

Sandra, die von all dem nichts ahnt, muss das Verhalten ihrer Mutter zwangsläufig als Unfähigkeit und als Bevormundung auslegen. Sie tut alles, um Mamas vermeintliche Fehler nicht zu wiederholen, und entscheidet sich gegen Kinder, die Schwächsten in der Familiengeschichte, wählt darum sogar "den Mann mit den Macken". Mein Rat: Redet miteinander! Je mehr Puzzleteile Sandra aus der Biografie der Mutter zu einem Bild fügen kann, desto besser. Dabei hilft ein guter Therapeut.

Quelle