Wie Scholz versucht, seinen neuen Sound zu finden

30.01.2024 10:35

Erst selbstkritisch, dann staatsmännisch: Olaf Scholz probiert seiner Kanzlerschaft einen neuen Auftritt zu verpassen. Ob mit Erfolg, könnte sich schon am Mittwoch zeigen. 

Wenn das der neue Scholz-Sound ist, dann klingt er heiser und verschnupft. Der Kanzler ist erkältet. Damit will der sich räuspernde Regierungschef so gar nicht zum Motto passen, das sich die SPD für ihre EU-Delegiertenkonferenz am Sonntag in Berlin gegeben hat: "Deutschlands stärkste Stimmen für Europa". Der Kanzler nimmt es mit Humor. 

Irgendein Virus habe ihm mitgeteilt, dass er bei der Stimme noch etwas nachhelfen müsse, scherzt Scholz am Rednerpult. "Ich hoffe aber, dass ich trotzdem verständlich bin", sagt er. Das hoffen seine Genossen auch.

Scholz‘ Zustimmungswerte befinden sind im freien Fall, die der SPD im Keller. Nicht wenige sehen da einen Zusammenhang. Scholz ist auch politisch angeschlagen. Die Koalition streitet unentwegt weiter, der Kanzler hat den Laden immer noch nicht im Griff – ausbaden muss es auch die SPD, der in diesem Superwahljahr viele Superschlappen drohen. 

Der Kanzler, der nach dem Jahreswechsel kaum zu sehen war, zeigt jetzt Präsenz. Er hat ein bemerkenswertes Interview gegeben, auf dem EU-Parteitag gesprochen, am Mittwoch folgt die Haushaltsdebatte. Scholz muss versuchen, die miese Stimmung in der Partei und Fraktion zu zerstäuben, sich als Kämpfer präsentieren und den Blick nach vorne öffnen. 

Die Sozialdemokraten haben daher aufmerksam registriert, was der Kanzler vor wenigen Tagen anklingen ließ: Selbstkritik. In einem Gespräch mit der "Zeit" gab sich der Kanzler nachdenklich. Er sprach über die aufgeheizte Stimmung im Land, über die zunehmende Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition und seine Amtsführung. Und wer wollte, konnte zwischen den Zeilen sogar lesen: Ich hab’s kapiert. 

Scholz, bislang unbeirrt und unbeirrbar, schlug damit einen neuen Ton an. Wird jetzt alles anders? 

Olaf Scholz, sachlich und staatsmännisch

Von diesem Scholz-Sound bekommen die 150 Delegierten im Berlin Congress Center jedenfalls nichts zu hören. In seiner 20-minütigen Rede verliert der Kanzler kein Wort über die Kritik an der Ampel, auch nicht über die Kritik an ihm selbst. Krise? Schon, aber im größeren Kontext. Scholz hält gerade andere Dinge für entscheidend – und die Debatten daheim für vergleichsweise unbedeutend. Das ist die Botschaft, die er hier senden will.

Scholz beschäftigt der Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa, den man verhindern müsse. Eine neue Weltordnung, die sich durch den wachsenden Wohlstand in Südamerika und Asien ergebe und neue Bündnisse verlange. Insbesondere aber die Ukraine, die in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren nicht im Stich gelassen werden dürfe. 

Hier wird deutlich, wie Scholz gesehen werden will: Als Staatsmann, der in den großen Linien denkt. Als Anführer, auf den Verlass ist. Und als Kanzler, der eine rauflustige Koalition erst recht geschaukelt kriegt. 

So sei man jetzt an einer "entscheidenden Stelle" angelangt, mahnt Scholz mit Blick auf die Militärhilfe für die Ukraine. Er macht sich scheinbar keine großen Hoffnungen, dass die USA – die wichtigsten Geldgeber des attackierten Landes – ihre Streitigkeiten über weitere Militärhilfen in nächster Zeit beilegen könnten. Die europäischen Hilfen dürften daher nicht abreißen, bekräftigt Scholz. Auch nicht die der Deutschen, den bislang zweitwichtigsten Unterstützern.

Im Haushalt 2024, der diese Woche verabschiedet werden soll, habe Deutschland sieben Milliarden Euro für die Ukraine vorgesehen. "Das ist sehr viel Geld", sagt Scholz. Und sei gegenwärtig "mehr als die Hälfte" dessen, was alle EU-Staaten derzeit zusammen aufbringen würden. Es ist ein deutlicher Appell an die Macrons und Melonis in der Staatengemeinschaft, sich mehr einzubringen.

Scholz, einst verschrien als Zögerer und Zauderer, gibt in Europa jetzt den Ton an und das Tempo vor. Das gefällt den Genossen, die ihren Kanzler für seine sachliche und pragmatische Rede feiern. Er habe mit besserer Stimme schon schlechtere gehalten, lobt einer, der nicht in Verdacht steht, ein großer Fan zu sein. 

Am Mittwoch gilt es für Kanzler Olaf Scholz

Aber kann der Staatsmann-Scholz auch über die dankbare Parteitags-Sphäre hinaus begeistern? Gemeinsam mit Spitzenkandidatin Katarina Barley soll er das Erscheinungsbild der SPD-Kampagne zur Europawahl prägen. Generalsekretär Kevin Kühnert setzt als oberster Wahlkampfmanager also voll auf den Kanzler-Effekt – was angesichts seiner miserablen Popularitätswerte mindestens mutig ist. Und alternativlos. Den unbeliebten Kanzler von den Wahlplakaten zu verbannen, käme einem Misstrauensvotum gleich.

Das macht die Ausgangslage nicht besser. Parallel zur EU-Wahl am 9. Juni stehen mehrere Kommunalwahlen an, im Herbst wird in drei ostdeutschen Ländern (Sachsen, Thüringen, Brandenburg) ein neuer Landtag gewählt. Glaubt man den Demoskopen, müssen die Genossen mit dem Schlimmsten rechnen. Zumal der politische Gegner versuchen dürfte, jede Abstimmung zu einer über Scholz und seine Ampel-Koalition zu machen. 

Die weitaus wichtigere und schwierigere Rede steht für den Kanzler daher am Mittwoch im Bundestag an. Dann geht es in der Generaldebatte um den Haushalt, der Scholz‘ Regierung nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts um die Ohren geflogen ist. Die nun in politischer Schwerstarbeit ausgehandelten Einsparungen konnten das ramponierte Ampel-Image auch nicht aufbessern. Die Kürzungen beim Agrardiesel haben zu landesweiten Bauernprotesten geführt, auch innerhalb der Regierungsfraktionen wurde deutliche Kritik an der einsamen Einigung zwischen dem Kanzler, Finanzminister Christian Linder (FDP) und Wirtschaftsminister Robert (Grüne) Habeck laut.

Scholz wird unter der gläsernen Reichstagskuppel die passenden Worte finden müssen, in der Hoffnung, die miese Stimmung in der Ampel und das gestörte Verhältnis zu den Wählern kitten zu können. Oppositionsführer Friedrich Merz wird die Debatte eröffnen, den Kanzler mit seiner Kritik provozieren und ihn wiederholt als untauglich für das Amt darstellen. Wie wird Scholz reagieren? Welchen Sound wird er dann anschlagen? 

SPD-Bundestagsabgeordnete hoffen auf einen empathischen Kanzler, der auf Floskeln und Worthülsen verzichtet. Der sogar Verantwortung für den jüngsten Schlamassel übernimmt, damit bei den Wählern unmissverständlich ankommt: Ich habe verstanden. Ob Scholz die Wähler überhaupt noch erreicht, versieht der ein oder andere aber mit einem Fragezeichen.

Die Hoffnung, dass der Kanzler seinen Kommunikationsstil grundsätzlich ändern könnte, ist in der SPD nicht weit verbreitet. Dennoch wird auch darauf verwiesen, dass in der Krise auch eine Chance liege. Alle Augen seien auf Scholz gerichtet. Er dürfte sie sich nicht gewünscht haben, aber Scholz habe eine Plattform. Er müsse jetzt nur beweisen, dass er den richtigen Ton treffen kann.

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