Bei einigen liegen offenbar die Nerven blank: In Berlin ist ein Autofahrer mit Pfefferspray gegen Protestierende der "Letzten Generation" vorgegangen. Die Gruppierung hat am Montag an etlichen Stellen in der Hauptstadt den Verkehr lahmgelegt, wie eine Karte zeigt.
Er griff offenbar zur Selbstjustiz und zum Pfefferspray, anstatt auf die Polizei zu warten. In Berlin laufen Ermittlungen gegen einen Mann, der mit einer Substanz aus einer Sprühdose auf Protestierende der "Letzten Generation" losgegangen ist.
Der Vorfall ereignete sich am Montag im Stadtteil Prenzlauer Berg, wie ein unter anderem von der "Letzten Generation" verbreitetes Video zeigt. Auf der Aufnahme ist zu sehen, wie sich mehrere Anhänger der "Letzten Generation" auf der Fahrbahn an der Kreuzung Landsberger Allee / Conrad-Blenkle-Straße zu einer Blockade niederlassen, während sich vor ihnen bereits ein Stau gebildet hat. Ein Mann kommt auf die Gruppe zu und sprüht mindestens zwei Protestlern mehrfach aus kurzer Distanz ins Gesicht, ehe er nach einem der Männer tritt und einen weiteren schubst. "Weg, ihr Penner!", ruft er ihnen entgegen. Die Straßenblockade hat sich dennoch formiert.
Das Verifikationsteam des stern konnte die Echtheit des Videos überprüfen. Eine Sprecherin der Berliner Polizei sagte auf stern-Anfrage: "Der Vorfall und das Video sind bekannt. Wir haben Ermittlungen wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung aufgenommen." Der Mann sei noch nicht identifiziert. Bei der Bewertung des Zwischenfalls durch die Staatsanwaltschaft wird es auch darum gehen, ob der Verdächtige einen Rechtfertigungsgrund, zum Beispiel Notwehr, für das gewaltsame Vorgehen hatte. Der Strafrahmen für gefährliche Körperverletzung liegt bei drei Monaten bis zehn Jahren Gefängnis.
"Letzte Generation" blockiert Straßen in Berlin
Die "Letzte Generation" hatte zuletzt einen Herbst der Klimaproteste in der Hauptstadt angekündigt. Möglicherweise war dieser Montagmorgen ein erster Vorgeschmack. An sieben Orten kam die Polizei nach eigenen Angaben den Protestierenden bei dem Katz-und-Maus-Spiel zwar zuvor und konnte Blockaden verhindern, an insgesamt mehr als 30 Stellen gelang es den Aktivistinnen und Aktivisten der Polizeisprecherin zufolge dennoch, Straßen zu besetzen und sich auch nach bekannter Manier festzukleben. Betroffen waren mehrere Autobahnausfahrten, verschiedene Bundesstraßen und auch der Busverkehr in vielen Teilen der Hauptstadt, wie ein Blick auf die Karte zeigt:
Die Auswirkungen auf den Autoverkehr in der Hauptstadt waren durch die Blockadeaktionen teils enorm. Die Verkehrsnachrichten im Radio zogen sich deutlich in die Länge. Vielerorts war Stillstand auf den Straßen zu beobachten.
Polizei warnte vor Selbstjustiz
Die Polizei stellte sich auf die angekündigten Aktionen ein. Rund 500 Beamtinnen und Beamte waren im gesamten Stadtgebiet präsent, um die Blockaden zu verhindern oder aufzulösen. "Bitte bewahren Sie Ruhe und greifen Sie nicht selbst ein", appellierten die Einsatzkräfte vorab an gestresste Autofahrerinnen und -fahrer. "Wir haben Verständnis, wenn Sie von den Protesten genervt sind, aber bitte greifen Sie nicht ein oder wenden gar Gewalt an." Nach Stunden, am frühen Nachmittag, meldete die Polizei, dass die Blockaden größtenteils aufgelöst seien – abermals auch dank des Einsatzes von literweise Speiseöl zum Ablösen der festgeklebten Hände von den Fahrbahnen.
Neben dem Pfefferspray-Vorfall gab es den Angaben zufolge dabei weitere Zwischenfälle: Auch im Stadtteil Spandau soll ein Mann versucht haben, eigenmächtig Personen von der Straße zu entfernen, ehe die Polizei ihn gestoppt habe. Ein Beamter sei in Mitte bei einer Festnahme leicht an der Hand verletzt worden. Zudem sei an einigen Blockadeorten die Fahrbahn beschädigt worden. Mitunter forderte die Polizei wegen "hartnäckiger Klebstoff-Gemische" die Unterstützung der Technischen Einsatzeinheit an. Nach Angaben der "Letzten Generation" wurden am Montag mehr als 50 Menschen in Gewahrsam genommen. Abschließende Zahlen der Polizei lagen bis zum Nachmittag noch nicht vor. Die Sprecherin nannte auf stern-Anfrage mindestens 220 Menschen, die sich an den Blockaden beteiligt haben sollen. Mehrere von ihnen seien zur Identitätsfeststellung in Gewahrsam genommen worden. Erneut warf die "Letzte Generation" der Polizei vor, durch Schmerzgriffe unangemessene Gewalt gegen Protestierende angewendet zu haben.
Die Sprecherin der Polizei betonte auf Anfrage, bestimmte "Transporttechniken" würden erst angewendet, wenn die Personen nach Auflösung der Versammlung einer mehrfachen Aufforderung zum freiwilligen Verlassen der Fahrbahn nicht nachkommen. Sollten bei diesen "Transporttechniken" Schmerzen verursacht werden, sei dies im Rahmen des sogenannten unmittelbaren Zwangs "rechtlich zulässig".
Wir sind entschlossen, diesen friedlichen Widerstand so lange fortzusetzen wie notwendig", hieß es von der "Letzten Generation". Sie forderte erneut eine "grundlegende Wende" in der Klimapolitik. "Weg von Öl, Gas und Kohle bis 2030." Neben Handgreiflichkeiten ernteten die Blockierenden am Montag auch Zuspruch von Passantinnen und Passanten, wie Reporter der Nachrichtenagentur DPA berichteten.
Die Herbstproteste der "Letzten Generation" sollen weitergehen. “Wir werden Berlin nicht verlassen, bevor die politische Wende da ist: Weg von fossil, hin zu gerecht!", sagte Sprecherin Carla Hinrichs bei der Ankündigung der Aktionswochen. Die Aktivistinnen und Aktivisten seien bereit, lange durchzuhalten. Man habe "ganz viel Kleber" bevorratet.
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