Zur Halbzeit hat die Ampel viele Versprechen umgesetzt. Es kommt nur bei vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht an. Wie können Olaf Scholz und Co. ihre Erfolge vermitteln?
Eigentlich könnten die Bürger mit der Ampel-Koalition zufrieden sein. Fast zwei Drittel ihrer Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag hat sie umgesetzt oder angefangen, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Untätigkeit kann man der Koalition nicht vorwerfen. Mindestlohn erhöht: Check. Paragraph 219a: weg damit. EEG-Umlage: abgeschafft.
Doch eine weitere Bertelsmann-Umfrage unter Bürgern zeigt auch: Viele Menschen nehmen die Ampel als Streitkoalition wahr und sind deshalb unzufrieden. 43 Prozent der Befragten glauben, die Regierung würde nur "einen kleinen Teil oder kaum" Versprechen umsetzen. Die eigentlich "sehr vielversprechende" Halbzeitbilanz wird von "öffentlich inszeniertem Koalitionsstreit und vielen offenen Baustellen" überlagert, sagen die Studienautoren. Wie könnte die Ampel ihre Erfolge besser verkaufen? Darüber hat der stern mit dem Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim gesprochen.
Koalition und Kanzler kommunizieren Erfolge zu wenig
Herr Brettschneider, die Ampel ist erfolgreicher als viele denken. Wieso kommt das bei den Menschen nicht an?
Über Erfolg wird seltener gesprochen als über Misserfolg. Auch in der Berichterstattung stehen häufiger die Probleme im Mittelpunkt. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte.
Was ist der andere Teil?
Die politischen Akteure selbst. Wenn von denen überwiegend Konflikt und Streit transportiert wird, ist das ein Problem. Denken wir an die Debatte zur Kindergrundsicherung oder zum Gebäudeenergiegesetz. Beim Gebäudeenergiegesetz bin ich sprachlos, wie viel kommunikativ schief lief. Das kann eigentlich nur passieren, wenn öffentliche Reaktionen nicht mitgedacht werden.
Sie forschen zum Thema Verständlichkeit. Wie kann man den eigenen Erfolg klar kommunizieren?
Eine verständliche Kommunikation verzichtet weitgehend auf Fachbegriffe, die Laien nicht kennen. Eine Bezeichnung wie "Gebäudeenergiegesetz" ist schon schwierig. Das hat die "Bild" mit ihrem "Heizungshammer" besser formuliert. Und Herr Scholz sollte Schachtelsätze vermeiden – ein Satz, ein Gedanke. Wichtiger ist aber der Inhalt. Man muss immer deutlich machen, dass politisches Handeln kein Selbstzweck ist, sondern dass man ein Problem lösen möchte.
Das müssen Sie genauer erklären.
Nehmen wir die drohende Energiekrise. Die will die Politik abwenden. Es gibt mehrere Wege mit Vor- und Nachteilen. Den gewählten Weg als alternativlos darzustellen, ist schon einmal ganz falsch. Ziele, Wege, Vor- und Nachteile müssen immer wieder erklärt werden. Erst recht in Krisenzeiten, um Orientierung zu bieten.
Die Regierung erklärt nicht genug?
Ja, das ist aus meiner Sicht ein Problem. Außerdem erkennt man keine gemeinsame Kommunikationsstrategie. Die Bevölkerung sieht überwiegend parteipolitischen Streit. Das ist sehr schädlich, auch für die Bewertung der Regierung insgesamt.
Trotz Ukraine-Krieg hat uns die Regierung gut durch den Winter gebracht. Haben die Menschen das schon wieder vergessen?
Ja, das war eine Leistung. Wir sind aber von tagesaktuellen Wahrnehmungen getrieben. Da hat der Streit um das Gebäudeenergiegesetz und den Atomausstieg diesen Erfolg einfach überlagert.
Kann man nicht streiten und trotzdem erfolgreich sein?
Ein Streit in der Sache ist in Ordnung. Aber am Ende wird erwartet, dass eine Regierung handelt. Das hat die Ampel selbst versprochen und sich als Fortschrittskoalition inszeniert. Wenn die Menschen aber den Eindruck haben, dem Versprechen folgt nicht viel, dann geht Vertrauen verloren. Dann sind auch Begriffe wie Bazooka, Wumms und Doppel-Wumms nicht hilfreich.
Was bringen solche Schlagworte dann noch?
Diese Sprache suggeriert entschlossenes Handeln. Aber wenn das von der Bevölkerung nicht wahrgenommen wird, ist das ein Doppel-Wumms, der nach hinten losgeht.
Liegt es auch an Olaf Scholz, dass die Erfolge bei vielen Menschen nicht ankommen?
Er spielt eine Rolle. Wahrscheinlich hätte er mit seiner zurückhaltenden Art mehr Erfolg, wenn wir nicht so viele Krisen auf einmal hätten. Dann würde er mitunter als besonnener Kanzler gesehen, der Erfolge bringt. Zur aktuellen Situation passt seine Kommunikation aber eher nicht.
Müsste der Kanzler öfter auf den Tisch hauen?
Viele fordern öfter ein Machtwort. Aber das macht er ein- oder zweimal, dann hat er keine Koalition mehr. Er muss stattdessen versuchen, die Öffentlichkeit für seine Positionen zu gewinnen und viel aktiver kommunizieren. Und nicht in einer Pressekonferenz auf Fragen antworten: "Sag‘ ich nicht."
Welche Tipps würden Sie Scholz geben?
Erstens, zentrale Schwerpunkte deutlich machen. Zweitens, Probleme, Ziele und Wege dorthin genau erklären. Drittens, klar sagen, warum Politiker ihre Meinungen und Wege manchmal ändern. Bis zum Gebäudeenergiegesetz hat Robert Habeck das sehr gut gemacht, aber die Debatte darum war ein Desaster. Viertens müssen SPD, Grüne und FDP verstehen, dass sie nur gemeinsam erfolgreich sind. Sie müssen nicht immer einer Meinung sein, aber sie müssen vermitteln, dass es eine gemeinwohlorientierte Herangehensweise an Themen gibt, und nicht ein egoistisches Parteiinteresse ganz oben steht.
Kommuniziert die Ampel schlechter als ihre Vorgänger?
Auch andere Koalitionen haben gestritten. Aber die Kommunikation war stark auf den Kanzler oder die Kanzlerin ausgerichtet. Heute gibt es mehr unterschiedliche Meinungen in der Koalition. Auch Social Media hat die Kommunikation verändert. Zitate werden aus dem Kontext gerissen und weitergedreht, da haben es Politikerinnen und Politiker deutlich schwerer aus früher. Umso wichtiger wäre eine gute Strategie.
Welches Regierungsmitglied kommuniziert denn vorbildlich?
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat sich bisher aus den Streitereien rausgehalten und seine Arbeit gemacht. Der hat einige Erfolge vorzuweisen, auch bei konfliktreichen Themen. Außenministerin Annalena Baerbock ist ein spezieller Fall. Unsere Außenminister wurden auch in der Vergangenheit meist positiv bewertet. Dieses Amt wird stärker als Vertretung der Nation wahrgenommen, weniger parteipolitisch. Damit sympathisieren viele Menschen.
stern-Politikchef Nico Fried schrieb, dass ausgerechnet die Augenklappe Olaf Scholz zu mehr Sympathie verholfen hätte. Stimmen Sie zu?
Die Situation hat Scholz Sympathiepunkte gebracht, aber solche Dinge verpuffen schnell. Die Bevölkerung ist themenorientierter, als manche meinen. Wenn die Menschen eine Wahlentscheidung treffen müssen, spielt eine Augenklappe keine Rolle mehr.
Und was denken Sie daran ?