Dass Ärzte und Pfleger demonstrieren, gehört zur Folklore. Doch diesmal ist es anders. Ein tiefgreifender Wandel steht an, doch der Minister hilft nicht. Das nützt am Ende nur der AfD.
Neulich, auf einem Sommerfest in Berlin. Journalisten umringen eine Spitzenpolitikerin der Regierung, der Weißwein kreist, es wird gelacht, plötzlich fällt der Name "Karl Lauterbach". Die Politikerin wird ernst, sie sagt: "Der Mann tut mir leid."
Pause.
Einer fragt: "Warum?"
"Er kämpft ganz allein. Keiner in der SPD, kein Hubertus Heil, kein Boris Pistorius, kein Olaf Scholz hilft ihm."
Was das mit den heutigen Protesten der Krankenhäuser zu tun hat?
Ziemlich viel. Es sagt etwas über die Erfolgschancen. Dass Ärzte, Pfleger, Apotheker oder andere Medizin-Berufe auf die Straße gehen, ist nicht neu, es gehört zur Folklore dieses Landes.
Doch diesmal ist es mehr als ein Ritual.
Die Krankenhäuser stehen vor einem dramatischen Wandel, aber große Hilfe vom Gesundheitsminister können sie nicht erwarten. Nicht weil Professor Dr. med. Dr. sc. (Harvard) Karl Lauterbach unwissend wäre. Er kennt alle Studien, kann gut reden und erklären, liebt Fernsehkameras und Talkshows, ist zuweilen sogar witzig und hat viele Fans in der virtuellen Welt. In der analogen Welt der Politik aber hat er ein Problem. Er setzt sich nicht durch. Ihm fehlen die Mitstreiter. Das spüren auch die Kliniken.
Die Krankenhäuser zu modernisieren, ist eines der wichtigsten Vorhaben der Legislaturperiode. Die Häuser leiden schon lange unter einer falsch verstandenen Ökonomisierung, die darauf hinausläuft, dass die Ärzte den Patienten mehr behandeln, als es ihm guttut.
Problem Fallpauschale
Das liegt an der "Fallpauschale". Jeder Eingriff, ob am Blinddarm oder am Knie, hat einen Preis, und je höher er ist (eine Blinddarm-OP kostet 4400 Euro, das Kunst-Knie 8200 Euro), umso besser für die Klinik. Das füllt die Kasse, und so greifen die Ärzte beherzt zum Skalpell. Nur wenige Länder in der Welt lassen so viele Hüftgelenke und Herzkatheter einsetzen wie Deutschland.
Corona hat dieses Geschäftsmodell endgültig ins Wanken gebracht. Denn die Patienten bleiben weg, die Zahl der Eingriffe ist gesunken, verglichen zur Zeit vor der Pandemie um etwa 14 Prozent. Damit fehlen Einnahmen. Viele Pflegekräfte fühlen sich überfordert und wechseln den Job, die Inflation kam, blieb und verteuerte alles.
Kurz gesagt, den Kliniken fehlen Erlöse und Leute, dafür steigen die Kosten, und die Zukunft wirkt düster. Die Häuser werden zusätzliches leisten müssen, wir sind schließlich eine alternde Gesellschaft, die mehr Medizin benötigt.
Viele Häuser fürchten um die Existenz
Es fehlt dabei nicht an Geld. Jährlich fließen gut 100 Milliarden Euro in Deutschlands Krankenhäuser. Doch die Milliarden sind schlecht angelegt, wenn elf Prozent der Kliniken laut dem aktuellen Krankenhaus Rating Report rote Zahlen schreiben, 70 Prozent kurz- oder mittelfristig ihre Existenz gefährdet sehen, und sich Ärzte und Pfleger, wie gesagt, chronisch überlastet fühlen.
Dass sich an dieser Lage etwas ändern muss, ist offenkundig. Nur es gibt eine hohe Hürde, und die heißt Föderalismus. Länderfürsten wie Markus Söder, Stephan Weil oder Winfried Kretschmann interpretieren das System so, dass sie selbst wenig bis nichts tun, aber von anderen viel verlangen. Sie investieren in ihre Krankenhäuser kaum, planen die Standorte an der Wirklichkeit vorbei, doch geht es darum, Geld vom Bund zu verlangen, rufen sie laut: "Hierher".
Für eine Reform war die Ausgangslage damit schlecht, und gemessen daran hat sich Lauterbach wacker geschlagen. Er will die Finanzierung so ändern, dass die Häuser weniger Geld fürs Operieren bekommen und mehr dafür, dass sie Geräte und Mediziner vorhalten – etwa, wenn sie einen Brustkrebspatienten oder ein Frühchen versorgen.
Das ist vernünftig. Es schützt die Patienten vor überflüssigen Eingriffen, entlastet Ärzte und Pfleger und hilft den Kliniken ihre Einnahmen besser zu planen.
Lauterbach hat auch Nonsens-Teile in seiner Reform, aber die lassen wir mal beiseite. Das Problem ist etwas anderes. Es ist die Zeit. Bis die neuen Regeln greifen, schreiben wir das Jahr 2027 oder 2028. Doch bis dahin werden viele Krankenhäuser zusammengebrochen sein, unter der Last der Probleme.
Gut, sagen jetzt einige, aber haben wir nicht zu viele Kliniken? Würde es der Branche nicht helfen, wenn sie sich gesundschrumpft? Ließe sich nicht die Behandlung konzentrieren, vielleicht sogar verbessern?
Dieses Argument klingt gut. Es gibt auch Fakten, die es stützen. Deutschland hat beispielsweise 50 Prozent mehr Krankenhausbetten hat als der Durchschnitt in der Europäischen Union. Wir könnten also Überkapazitäten abbauen.
Überkapazitäten abbauen
Doch das Argument taugt nur in der Theorie. Nicht in der Praxis.
Wir wissen nämlich nicht genau, welche Häuser wirklich überflüssig sind. Was geschieht, wenn ein Krankenhaus in einer Kleinstadt dichtmacht? Wie werden die Diabetiker und Rheuma-Patienten dann versorgt? Was passiert mit dem Bewohner des örtlichen Altenheims, wenn er mal stationär versorgt werden muss, weil er zu wenig getrunken hat und umgekippt ist? Wer kümmert sich um ihn? Die niedergelassenen Ärzte, die auf dem Land ohnehin fehlen? Oder wird jeder 80jährige ins weit entfernte Universitätsklinikum gefahren? Und haben wir überhaupt die vielen Kranken-Transporter, denn der Rettungsdienst soll ja auch reformiert, sprich geschrumpft werden?
Die Sache ist heute recht einfach. Schließt eine Klinik auf dem Land, werden danach die ansässigen Menschen schlechter versorgt. Die Lücke könnte zwar ein ambulantes Versorgungszentrum schließen – ein Mix aus Ärzten, Therapeuten, Notfallmedizinern und stationären Betten. Aber das klappt oft auch nur in der Theorie, nicht in der Praxis.
Ein Blick auf die Zahlen genügt. Wir haben etwa 1700 Kliniken aber laut Bertelsmann-Stiftung nur sechs Versorgungszentren. Es fehlt an Geld, Zuständigkeiten und Ideen, die verantwortliche Regierungskommission hat dazu bis heute nicht einmal ein Konzept geliefert.
Kliniksterben hilft Rechtspopulisten
Ein weit verbreitetes Kliniksterben dagegen wäre fatal. Nicht nur, weil die Leute auf dem Land schlechter behandelt würden. Es würde auch den Rechtspopulismus weiter befeuern.
Das Krankenhaus ist "ein Stück Heimat", das "Sicherheit und Geborgenheit vermittelt", hat einmal der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesagt. Doch mit jedem Haus, das schließt, geht Sicherheit verloren, und das werden die Rechtspopulisten ausnutzen, was sie in Thüringen bereits versuchen sollen, sagen Experten. Bei jeder Klinik, die verschwindet, können sie sagen: "Schaut nach Berlin, die Ampel vergisst Euch".
Eine überzeugende Antwort darauf hat die Regierung nicht. Lauterbach kann nur auf seine Reform verweisen, die irgendwann, irgendwie, irgendwo wirken soll. Den Menschen auf dem Land hilft das nicht.
Eine befristete Hilfe für die Kliniken, bis die Reform wirkt, wäre daher sinnvoll. Weil sie Lasten abfedern würde, und weil es Vorbilder gibt. Wirtschaftsminister Robert Habeck argumentiert für die Industrie ähnlich, wenn er sie vor den Folgen der hohen Strompreise schützen will.
Die Tragödie des Karl Lauterbach
Ein Konzept für die medizinische Versorgung auf dem Land wäre auch sinnvoll, und Geld, um die Kliniken zu modernisieren, ebenfalls. Dänemark hat dafür sechs Milliarden Euro springen lassen, was auf Deutschland übertragen 80 Milliarden Euro bedeuten würde. Doch viele Experten meinen, dass sich die Kliniken erneuern lassen, ohne dass ein einziger Cent fließt. "Aufkommensneutral" nennen sie das. Wer das ernsthaft glaubt, hält Donald Trump vermutlich auch für einen seriösen Politiker.
Es ist eine politische Tragödie, die wir erleben. Karl Lauterbach ist mit großen Hoffnungen gestartet, doch er hat bisher wenig erreicht. Die Finanzen der Krankenkassen sind alles andere als stabil, die Zusatzbeiträge steigen und steigen. In der Pflegeversicherung zahlen die Heimbewohner immer mehr selbst, der Eigenanteil liegt derzeit bei 2550 Euro im Monat. Für uns alle sind die Pflegebeiträge gewachsen, doch das hilft der Pflegeversicherung wenig. Sie leidet weiter Not, weil die Regierung den Heimen die Lasten der Pandemie nicht bezahlt und weil Finanzminister Christian Lindner Milliardenzuschüsse gestrichen hat. Viele Pflegeheime rutschen in die Pleite, und die Krankenhäuser könnten folgen.
In diesen Tagen möchte man nicht Karl Lauterbach sein. Er kämpft allein. Für die Kliniken ist das kein gutes Zeichen.
Und was denken Sie daran ?