Es ist ein erschreckendes Arsenal, das die Stuttgarter Polizei am Sonntag ausgestellt hat: Besenstiele, Metallstangen, Knüppel, Pflastersteine, sogar mit Nägeln gespickte Holzlatten. Dies alles soll am Samstag am Rande des Eritrea-Festivals in Baden-Württembergs Hauptstadt von Gewalttätern eingesetzt worden sein, um auf Polizeibeamte loszugehen. 27 von ihnen wurden verletzt, erlitten den Angaben zufolge Prellungen, Platz- oder Fleischwunden.
Insgesamt 228 Tatverdächtige wurden bei den Ausschreitungen festgenommen, ein Mann kam in Untersuchungshaft. Die meisten von ihnen leben im Stuttgarter Umland, viele jedoch auch in der Schweiz. Gegen die mutmaßlichen Randalierer wird unter anderem wegen Verdachts des Landfriedensbruchs, schweren Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs, Sachbeschädigung und Körperverletzung sowie gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls ermittelt. "Alle Verdächtigen haben die eritreische Staatsangehörigkeit oder sind Deutsche mit eritreischen Wurzeln", teilte das Polizeipräsidium Stuttgart mit.

Immer wieder kam es in der Vergangenheit am Rande von Eritrea-Festivals zu teils schweren Ausschreitungen. Im Juli sorgten Krawalle im hessischen Gießen bundesweit für Aufsehen (der stern berichtete). Worum handelt es sich bei den Eritrea-Festivals? Warum schlagen die Veranstaltungen regelmäßig in Gewalt um? Und wie reagiert die Politik auf die Eskalationen? Der stern beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
Was ist das Eritrea-Festival?
Die Veranstaltungen in verschiedenen deutschen Städten werden vom Zentralrat der Eritreer in Deutschland organisiert. Offiziell soll es dabei um Musik, Lesungen oder Gespräche gehen. "Das ist ein Begegnungszentrum für alle Eritreer, die ihre Erfahrungen austauschen", sagte Johannys Russom vom Vereinsvorstand laut "Spiegel" anlässlich des Festes in Gießen. Kritiker werfen den Veranstaltern jedoch eine Nähe zur Diktatur in dem ostafrikanischen Land und Propaganda für das Regime vor. Oppositionellen sind die Eritrea-Festivals daher ein Dorn im Auge und Grund für Proteste – die immer wieder in Gewalt gipfeln.
Was steckt hinter dem Konflikt der Gruppen?
Eritrea mit seinen rund drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer in einem jahrzehntelangem Krieg erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur das Land. Parteien sind verboten, die Meinungs- und Pressefreiheit ist stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen. Doch die Diaspora ist tief gespalten, steht sich unversöhnlich gegenüber – die Anhänger des Regimes auf der einen, dessen Gegner auf der anderen Seite. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verzeichnete 2021 rund 74.000 Eritreerinnen und Eritreer, die in Deutschland leben.
Warum eskalierte die Gewalt in Stuttgart?
Dass die Eritrea-Festivals brisant sind, ist den deutschen Sicherheitsbehörden bekannt. Allerdings wurde die Polizei offenbar von der Gewaltbereitschaft am Wochenende kalt erwischt. Insgesamt rund 90 Teilnehmer haben das Eritrea-Festival in einem Kulturzentrum besucht, mehrere Hundert haben sich zum Protest versammelt. Nachdem sie einen zugewiesenen Versammlungsort abgelehnt hätten, seien die Gegendemonstranten gewalttätig geworden, so die Polizei. Eilig wurden nach Ausbruch der Krawalle neue Einsatzkräfte nach Stuttgart beordert – anfangs waren nur rund 20 Beamte vor Ort. "Wir waren der Prellbock für eine ethnische Auseinandersetzung, die auf den Straßen Stuttgarts ausgefochten wurde. Diese Art der Ausschreitungen kann und wird der Rechtsstaat nicht tolerieren. Jeder Angriff gegen uns ist einer zu viel und stellt die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates in Frage", sagte Polizeivizepräsident Carsten Höfler. Trotz der Konfliktträchtigkeit sei ein Verbot der Veranstaltung nicht in Frage gekommen. "Versammlungen im geschlossenen Raum sind nicht anmeldepflichtig", hieß es von Seiten der Stadtverwaltung.
Wie sind die Reaktionen auf die Ausschreitungen?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte laut Nachrichtenagentur DPA: "Ausländische Konflikte dürfen nicht in unserem Land ausgetragen werden." Die Gewalttäter müssten zur Verantwortung gezogen werden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) teilte mit: "Die Bilder der brutalen Ausschreitungen mit gezielten Angriffen gegen die Polizei verstören und sind völlig inakzeptabel." Wer Einsatzkräfte angreife, greife den Rechtsstaat an. "Es ist völlig unverständlich, warum diese Veranstaltung nicht gestoppt und damit die Verbreitung der Propaganda dieses Terrorstaates ermöglicht wurde", sagte der Obmann der Grünen-Fraktion im Innenausschuss des Bundestages, Marcel Emmerich. Im Vorfeld hätte man zudem versuchen können, vor Gericht ein Verbot zu erwirken, "um zumindest ein deutliches Zeichen zu setzen", fügte er hinzu. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sagte, schon bei früheren ähnlichen Veranstaltungen von Menschen aus Eritrea sei zu beobachten gewesen, dass das Etikett "Festival" ganz offensichtlich genutzt werde, um Auseinandersetzungen verschiedener Gruppen aus Eritrea in Deutschland zu führen. "Das muss der deutsche Staat sich nicht gefallen lassen", führte Lindholz aus. Eine Genehmigung könne auch im Vorfeld versagt werden, wenn der Charakter eines Festivals offensichtlich missbraucht wurde, "wenn das absehbar ist und wenn es nicht möglich ist, durch geeignete Auflagen Ausschreitungen zu verhindern".
Der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, kritisierte, dass die unangemeldete Gegendemonstration zu dem Eritrea-Treffen eine Demonstrationsfläche zugewiesen bekommen habe, sich aber nicht daran gehalten habe. "Wir machen uns hier zum Affen. Dabei müssten wir unser Demonstrations- und Versammlungsrecht schützen und stärken. Dazu müssen wir konsequent durchgreifen. Wer sich nicht daran hält, verwirkt sein Recht darauf."
Wie geht es nun in Stuttgart weiter?
Die Stadt Stuttgart will nun den Dialog mit vor Ort ansässigen Vereinen suchen. "Unsere Linie in den regelmäßigen Gesprächen mit den verschiedenen Migrantenorganisationen ist, dass wir in Stuttgart keine Auseinandersetzungen und Ausschreitungen zu den Konflikten in den Herkunftsländern dulden."
Am kommenden Samstag soll zudem eine weitere Eritrea-Veranstaltung in der Landeshauptstadt stattfinden. "Es geht auch um die Frage, ob eine Gewalttat das Sagen haben darf", sagte Johannys Russom vom Verband der eritreischen Vereine in Stuttgart der DPA. Der Schutz der Veranstaltung sei eine Aufgabe des Staates. "Er muss als demokratisches Land daran interessiert sein", so Russom. In den vergangenen 40 Jahren habe es derartige Veranstaltungen regelmäßig und ohne Zwischenfälle gegeben.
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