Betrug, Hausfriedensbruch, Körperverletzung – die Liste der Einträge des Kölner Geiselnehmers in den Akten der Polizei ist lang. Trotzdem musste der Syrer die Bundesrepublik nicht verlassen. Dafür gibt es gute Gründe.
Der 55-jährige Syrer, der am Montagnachmittag im Kölner Hauptbahnhof den Brandanschlag und die anschließende Geiselnahme verübt hat, ist der Polizei schon seit längerem bekannt – und dennoch wurden bislang keine ausländerrechtlichen Konsequenzen gezogen. Das sorgt insbesondere in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerken (auch zur stern-Berichterstattung) bisweilen für Unverständnis – zumal Politiker fast jeder Couleur immer wieder fordern, straffällig gewordene Ausländer abzuschieben. Dabei gibt es handfeste Gründe dafür, warum Mohammed A.R. Deutschland trotz seiner kriminellen Vergangenheit nicht verlassen musste.
Geiselnehmer von Köln ist nicht vorbestraft
Die Liste der Delikte, in deren Zusammenhang der Name des Geiselnehmers in den Polizeidatenbanken auftaucht, ist lang. Drogenbesitz, Ladendiebstahl, Betrug, Hausfriedensbruch, Bedrohung, Körperverletzung – es gibt laut Kölns Kripochef Klaus-Stephan Becker insgesamt 13 Einträge. Das klingt nach Intensivtäter, zumal die entsprechenden Taten erst in den vergangenen zwei Jahren begangen wurden.
Doch zur Wahrheit im Fall Mohammed A.R. gehört auch, dass Eintrag nicht gleich Verurteilung bedeuten muss. "Er ist noch nicht vorbestraft", stellte eine Sprecherin der Kölner Staatsanwaltschaft bereits am Dienstag im Gespräch mit dem stern klar. Später ergänzte sie auf einer Pressekonferenz, dass derzeit eine Anklage beim Amtsgericht Köln wegen Betruges in mehreren Fällen vorliege. Weitere Taten seien "nicht zur Anklage gekommen". Die anderen Verfahren seien "zum Teil eingestellt, etwa weil kein Tatnachweis erbracht werden konnte oder nach anderen Vorschriften".
Um welche "anderen Vorschriften" es sich handelt und warum welche Fälle konkret nicht weiter verfolgt wurden, will die Kölner Staatsanwaltschaft nicht sagen. "Wir werden keine weiteren Auskünfte zum (strafrechtlichen) Vorleben des Beschuldigten geben", teilte die Anklagebehörde mit.
Keine Abschiebungen in Kriegsgebiete
Doch für die Frage nach dem Aufenthaltsstatus ist es ohnehin unerheblich, ob Mohammed A.R. von einem deutschen Gericht verurteilt wurde. In seinem Heimatland Syrien sterben weiter Menschen im Bürgerkrieg, daher gilt bis mindestens Ende 2018 ein genereller Abschiebestopp dorthin. Es gilt als nicht vereinbar mit rechtsstaatlichen Prinzipien, Menschen in Kriegsgebiete zu schicken; gleiches gilt auch, wenn zum Beispiel Folter im Zielland droht.
"Strafbarkeit führt nicht zu einer Ausreisepflicht, solange jemand als Flüchtling vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) anerkannt ist", erklärte die für den Beschuldigten zuständige Stadtverwaltung Köln auf stern-Anfrage. Sie sei an diese Entscheidung gebunden. Das Bamf habe den Syrer als Flüchtling anerkannt, er besitze eine gültige Aufenthaltserlaubnis bis Juni 2021. Selbst bei einer Verurteilung hätte die Ausländerbehörde eine mögliche Abschiebung "aufgrund der Flüchtlingseigenschaft aussetzen müssen, der mutmaßliche Täter wäre also dann in den Status der Duldung gelangt", so die Stadt Köln weiter.
Laut Aufenthaltsgesetz ist die Ausweisung eines kriminell gewordenen Ausländers ohnehin – je nach Art der begangenen Straftat – in der Regel erst bei einer Freiheitsstrafe von einem oder zwei Jahren vorgesehen.
Mohammed A.R. liegt nach seinen Schussverletzungen weiter im Koma. Ob und wann er vernommen werden kann, ist noch unklar, wie ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sagte.
Warum inzwischen die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zu der Geiselnahme und dem Brandanschlag im Kölner Hauptbahnhof übernommen hat und wieso sie ein terroristisches Motiv nicht ausschließt, lesen Sie hier im stern.
Um auf offene Fragen Antworten zu finden und die Hintergründe der Tat aufzuklären, bittet die Kölner Polizei Zeugen, etwaige Video- oder Fotoaufnahmen von der Tat zur Verfügung zu stellen. Hierzu haben die Ermittler ein Upload-Portal unter nrw.hinweisportal.de eingerichtet. Telefonische oder persönliche Hinweise werden unter (0221) 2294444 oder durch die Polizeidienststellen entgegengenommen.
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