Manchmal bringt ein trauriges Kind sein totes Chinchilla, manchmal der Zoo ein Nashorn: Professor Achim Gruber (52) im Obduktionssaal der Tierpathologie
n Düppel (Berlin-Zehlendorf), am ruhigen Königsweg, über den gerade sechs Mädchen ihre Ponys führen und eine ältere Dame zwei Windhunde, liegt in einem Klinkergebäude der Freien Universität ein stahlglänzender, nach Desinfektionsmittel riechender Raum, den kein Tier je lebendig erreicht. Auf dem blassgelb gefliesten Boden des Sektionssaals der Tierpathologie steht Professor Achim Gruber (52) in Gummistiefeln, Schürze und pinkfarbenem Overall über den toten Körper einer Katze gebeugt.
Berlin ist die hundereichste Stadt Deutschlands, hier leben an der 100 000 Exemplare. Wahrscheinlich auch die meisten Katzen. Etwa 1000 dieser und andere Tiere landen jedes Jahr auf den Edelstahltischen der Tierpathologie. Vielen von Ihnen ging es nicht gut, obwohl ihre Besitzer sie geliebt haben. Mitunter über alle Maßen, aus tiermedizinischer Sicht jenseits vernünftigen Maßes, mitunter todesursächlich.
Die Obduktion einer Katze dauert ungefähr eine Stunde
„Ich glaube zwar, dass die meisten Haustiere einigermaßen ordentlich gehalten werden, aber wir Pathologen haben in den letzten Jahren viele schlechte Entwicklungen gesehen, wo weggeschaut wird und Tierhalter gar nicht wissen, welche Opfer sie ihren Haustieren abverlangen“, sagt Professor Achim Gruber, Leiter des Instituts für Tierpathologie.
Professor Gruber hat in seiner Laufbahn tausende Tiere obduziert, Elefanten waren darunter, Giraffen, Knut, der Sensationseisbär vom Zoo. Das tägliche Geschäft aber sind Katzen, Hunde, Kaninchen, Vögel, Meerschweinchen, zunehmend Exotischeres wie Bartagame und Chamäleon. Die ganze Haustierpalette.
Haustierhalter haben keine Ahnung, was sie tun
Über das Leid dieser Tiere hat der Pathologe ein Buch geschrieben: „Das Kuscheltierdrama (Droemer, 19,99 Euro). Und das Drama ist seltener Skrupellosigkeit sondern vielmehr die Unwissenheit von Frauchen und Herrchen. „Das fängt schon dabei an, welches Tier ausgesucht wird, betrifft Hygiene und Fütterung.“
Und weiter: „Heute ist das Haustier vielmehr Sozialpartner, gerade in einer Großstadt wie Berlin, in der so viele Menschen allein leben. Der Hund darf mit ins Bett, das ist in Ordnung, wenn die Hygiene stimmt“, sagt Gruber.
Diese Scheren gehören zur Ausstattung der Tierpathologie
Aber diese kuschelige Nähe führt auch zu Fällen wie jenes Rüden, der Fell verlor und Schrumpfhoden bekam. Frauchen – in den Wechseljahren – hatte sich regelmäßig Östrogencreme aufgetragen und den Rüden in einen Eunuchen verwandelt.
Ahnungslosigkeit tötet
„Ein zehnjähriges Mädchen brachte mir ihr totes Chinchilla in die Kleintierpraxis, in der ich damals arbeitete und flehte, ob ich nicht etwas machen könne“, berichtet Gruber. Das ging natürlich nicht, der Pathologe aber fand schnell heraus, woran es gestorben war.
Das Kind hatte einen Herpes im Mundwinkel. Der Lippenherpesvirus des Menschen kann bei Kaninchen und Chinchillas zur tödlichen Gehirnentzündung führen. Das Mädchen hatte ihrem Chinchilla den Todeskuss gegeben.
Zwei Hundeschädel im Vergleich: Im Vergleich zum linken weist der rechte eine extrem kurz gezüchtete Nase auf, die das Tier sehr einschränkt
Tierratgeber beschreiben zwar ausführlich, so Gruber, welches Accessoire sich noch gut macht im Kleintierkäfig, aber nie besonders deutlich, dass zum Beispiel ein Vogel, der nicht fliegt stirbt – weil er seine Lungen zwangsläufig erkranken.
Furchtbare Züchtungen sorgen für Behinderungen
Besonders kritisch sieht Gruber, was sich beim Spaziergang am Grunewaldsee offenbart: wie populär mittlerweile buntgescheckte Hunde sind. Tiere mit eingezüchtetem Merle-Gendefekt, der teilweise furchtbare Behinderungen hervorbringt: Taubheit, Schwerhörigkeit, die Hälfte kann nicht schwimmen. Der Trend zum Schönen und Besonderem: große Hunde werde noch größer gezüchtet, Nacktkatzen noch nackter, ohne Tasthaare gar, schrille Hunde noch schriller.
„Berliner Extravaganz auf Kosten der Tiergesundheit“, klagt Gruber. „Zudem werden Hunde immer menschenähnlicher: Die Schnauze wird weggezüchtet, die Augen flach nach vorn, die Stirn hoch, der Kopf schön rund.“
Professor Achim Gruber mit BILD-Reporterin Andra Fischer
Extremzuchten mit dramatischen Folgen: „Solche Tiere haben unter Belastung oder bei Hitze enorme Schwierigkeiten zu atmen, zu hecheln, Thermoregulation zu betreiben.“ Gruber hatte im vergangenen langen Sommer einige Exemplare auf dem Tisch, verendet an Hitzschlag oder kollabierter Luftröhre. Das Gaumensegel ist zu lang, die Tiere schnarchen ganz stark.
Ein erheblicher Anteil dieser Hunde versucht, im Sitzen zu schlafen, um nicht zu ersticken. Ihnen können die Augen herausfallen, allein wenn sie von der Couch hopsen. Das betrifft oft Mops und Französische Bulldogge, „aber nicht die ganze Rasse“, betont Gruber, „sondern die Extremzuchten“.
Kann das Gesetz nicht vor Leid durch Zucht schützen?
Aber warum dürfen Züchter das? Kann das Tierschutzgesetz nicht vor Leid durch Zucht schützen? Gruber: „Doch, ein Anfang ist gemacht, seit 2013 gibt es im Tierschutzgesetz den sogenannten Qualzuchtparagraphen 11b. Allerdings ist das Gutachten, das dem zugrunde liegt, 20 Jahre alt. Heute haben wir viel mehr Defekte. Wir brauchen dringend ein neues Qualschutzgesetz!“
Gruber, zu dessen Familie auch Mischlingshund Benni aus dem Tierheim gehört, will aufklären, nicht miesmachen. Der Mensch müsse „ein Tier Tier sein lassen“. Das bedeutet eben, dass ein Meerschweinchen, ein Fluchttier, nicht sechs Stunden am Tag bekuschelt werden darf. „Wenn doch, schüttet es ständig Stresshormone aus und wir Pathologen sehen in der Obduktion dann Nebennieren, die Stressorgane, groß wie Apfelsinen.
Warum werden Tiere obduziert?
Am Institut für Tierpathologie in der Robert-von-Ostertag-Straße (Düppel, Berlin-Zehlendorf) stehen die Ursachen, Mechanismen und Erkennungsmerkmale der Krankheiten von Heim- und Nutztieren sowie Zoo- und Wildtieren im Zentrum. Mehr als 1000 Tiere werden hier jährlich obduziert. Die Biopsie-Diagnostik ist noch umfangreicher: etwa 10 000 Gewebeproben – lebenden Tieren entnommen – werden im selben Zeitraum auf krankhafte Veränderungen untersucht.
Die ein Kubikmeter große Edelstahlbox ist 24 Stunden zugänglich
Das Institut verfügt neben dem Sektionssaal unter anderem über Kühlräume und einen Kran mit dem schwere Tierkörper (z.B. Pferde) in den Saal gehievt werden können. Außerdem gibt es einen Metallschrank, in den auch nach Schließung des Instituts Veterinärpraxen verstorbene Tier ablegen können, die dann obduziert werden.
Welche Tiere werden obduziert? Beauftragt werden Obduktionen mehrheitlich durch praktizierende Veterinäre oder Halter. Zudem werden Tiere des Zoo Berlin im Institut obduziert. Oft geht es auch um Gutachten im Straf- oder Zivilrecht (Vernachlässigung, Misshandlung, Streitwert).
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