In vielen medizinischen Berufen bekommen Azubis kein Gehalt, sondern zahlen oft sogar drauf. Bei NEON berichtet ein angehender Physiotherapeut, wie es ist, ohne Gehalt einen Vollzeitjob zu machen.
Felix liebt seinen Job. Deswegen arbeitet der 23-Jährige sogar am Wochenende, neben seiner 40-Stundenwoche, um seine Ausbildung zu finanzieren. Denn Felix ist im letzten Ausbildungsjahr zum Physiotherapeuten. Genau wie bei Logopäden, Ergotherapeuten oder auch Erziehern geht diesem Job eine sogenannte schulische Ausbildung voraus. Diese wird jedoch oft an privaten Einrichtungen angeboten. Statt Geld für ihre Ausbildung zu bekommen, zahlen viele Azubis sogar noch drauf.
Zum ersten Januar 2019 verbessert sich diese Situation nun für einige Auszubildende, die an Krankenhäusern und kommunalen Kliniken angeschlossen sind. Sie haben zusammen mit der Dienstleistungsgesellschaft "Verdi" eine Tarifeinigung erstritten. Künftig bekommen sie 965 Euro im ersten Ausbildungsjahr, 1025 im zweiten und 1122 Euro im dritten Jahr. Dies betrifft immerhin knapp 3500 junge Menschen, Felix gehört nicht dazu. Wie es ist, einen verantwortungsvollen Job ohne Gehalt zu machen, erzählt er im NEON-Interview.
Felix, für Azubis an Krankenhäusern gilt ab dem 1. Januar 2019 erstmals ein Tarifvertrag. Sie sind selbst tätig geworden und haben mit den Ländern Verhandlungen geführt. Warum gehörst du nicht dazu?
Bis jetzt ist es so, dass es ganz viele Physio- und Ergoschulen gibt, an denen man eine Ausbildung absolvieren kann. Manche sind an ein Krankenhaus angegliedert und werden gefördert, andere sind privat. Die neue Regelung bezieht sich jedoch nur auf Physiotherapeuten, die in Krankenhäusern und Kliniken arbeiten. In Hamburg habe ich schon mit anderen Physiotherapeuten und solchen, die es werden wollen, zusammen demonstriert, da Hamburg noch zu den Bundesländern zählt, in denen die Ausbildung nicht kostenlos ist. Doch auch wenn sich die Azubis für ihre Rechte stark machen, muss ein Signal aus der Politik kommen. Denn unsere Gesellschaft wird älter und kränker. Veränderung muss mit den Physiotherapeuten Hand in Hand gehen – sonst sehe ich für Krankenhäuser und Praxen, aber vor allem für die adäquate Versorgung der Patienten, keine Zukunft.
Ausbildungen werden in Deutschland sehr unterschiedlich vergütet. Ein Bankkaufmann oder eine Einzelhandelskauffrau bekommt teilweise im ersten Lehrjahr schon über 1000 Euro. Wie empfindest du diesen Unterschied zu deinem Beruf?
Manchmal fühle ich mich einfach nicht wertgeschätzt von der Politik und auch ein wenig veräppelt. Ich möchte, dass der Job für mich und die Patienten positiv ist, aber unter diesen Bedingungen ist das wirklich kaum zu machen. Die meisten Menschen, die von meinem Job erfahren, sind nämlich oft sehr begeistert und neugierig, da viele selbst schon Erfahrungen mit Physiotherapie gemacht haben und um die Bedeutung des Berufes wissen.
Warum hast du dich trotzdem für diese Ausbildung entschieden?
Die Ausbildung zum Physiotherapeuten ist für mich einfach unglaublich faszinierend: Eine Krankheit mit Bewegung zu therapieren, anstatt mit Medikamenten, ist doch total toll. Dafür habe ich die negativen Elemente erst einmal ausgeklammert. Die Ausbildung hat mich fachlich und menschlich weitergebracht und ich bereue es absolut nicht. Aber es waren auch anstrengende Jahre. Inhaltlich absolviert man quasi ein halbes Medizinstudium, hat später eine große Verantwortung, aber wenig Gehalt. Das kann man nur durchziehen, wenn man mit dem Herzen dabei ist.
Für mich ist die Ausbildung außerdem der erste Schritt in die Welt der Gesundheitsberufe. Ich könnte mir vorstellen, mich zum Heilpraktiker weiterzubilden und später im Ernährungs- und Gesundheitsbereich selbstständig zu arbeiten. Denn als angestellter Physiotherapeut verdient man aktuell circa 2400 Euro brutto. Die Löhne steigen zwar gerade, sie sind aber immer noch niedrig für die hohe Verantwortung, die man hat, wenn man mit Menschen arbeitet.
Deine Ausbildung gehört zu den schulischen Ausbildungen – was bedeutet das genau?
Das bedeutet, dass das erste Lehrjahr komplett aus Unterricht besteht. Ab dem zweiten Lehrjahr sind dann immer im Wechsel Blöcke aus Praxis und Schule. In den drei Jahren der Ausbildung zahlt man dafür um die 500 Euro pro Monat. In Hamburg zahle ich aktuell 420 Euro pro Monat; das kann aber von Schule zu Schule anders sein. In einigen Bundesländern sind die Schulen auch kostenlos.
Wie finanzierst du deine Ausbildung?
Ohne die Bezuschussung durch die Eltern oder einen Nebenjob ist es kaum möglich, die Kosten zu stemmen. Ich kann meine Ausbildung nur mit Hilfe meiner Eltern finanzieren. Und habe noch einen Nebenjob auf 420-Euro-Basis. Da gebe ich zum Beispiel am Wochenende Massagen. Aber gerade vor großen Prüfungsphasen ist das einfach eine riesige Belastung. Ich war schon mehrfach an einem Punkt, an dem ich mir überlegt habe, hinzuschmeißen; aufgrund des Geldes, aber auch seelisch.
Welche Momente waren das?
In den schulischen, aber auch besonders in den Praxisphasen, ist man natürlich mit Schicksalen und besonderen Krankheitsbildern konfrontiert. Kinder zu sehen, die nur noch ein paar Wochen zu leben haben oder auch Menschen, die sich nach einem schweren Motoradunfall kaum noch bewegen können, ist eine große Belastung. Und auch in der Ausbildung selber gibt es viele harte Phasen: Nur wenn man die schulischen Teile besteht, kann man in die Praxisphase gehen. Dazu gibt es immer wieder große Prüfungen. Das Staatsexamen am Ende dauert anderthalb Monate, gespickt mit Prüfungen. Ich fange jetzt schon an, für nächsten September zu lernen.
Und was denken Sie daran ?