Woche der Wahrheit in der Ukraine-Krise: Bei einem USA-Russland-Gipfel, einer Tagung des Nato-Russland-Rates und OSZE-Beratungen soll die Lage entschärft werden. Die Presse ist skeptisch und warnt zugleich: "Es geht um Krieg und Frieden."
In Genf ist eine Woche intensiver Diskussionen zur Situation in der Ukraine eingeleitet worden. Seit dem Vormittag beraten dort die USA und Russland über den russischen Truppenaufbau an der Grenze zur Ukraine und die Forderung Moskaus nach Sicherheitsgarantien der Nato. Russland will Zusicherungen, dass die Nato sich nicht weiter nach Osten ausdehnt, und einen Abzug von US-Atomwaffen aus Europa. Die USA betrachten den russischen Truppenaufmarsch als aggressiven Akt und verlangen russische Schritte zu einer Deeskalation. Die US-Seite habe zudem klar gemacht, dass es die von Russland geforderten Garantien der Nato nicht geben. Die USA und Verbündete haben bei einem russischen Einmarsch in der Ukraine mit massiven Sanktionen gedroht.
Nach den Gesprächen in Genf tagt am Mittwoch erstmals seit zweieinhalb Jahren der Nato-Russland-Rat in Brüssel. Darauf folgen am Donnerstag Gespräche im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien.
So kommentiert die Presse die Bemühungen zu Entschärfung der Ukraine-Krise:
"New York Times": "Die Botschaft der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union ist deutlich: Ein Einmarsch in die Ukraine könnte Russland teuer zu stehen kommen. Der Preis, den die Sanktionen verursachen würden, sowie der Verlust russischer Menschenleben während einer Invasion legen nahe, dass sich Präsident Wladimir Putin mit einem gewissen Maß an diplomatischer Befriedigung seiner Forderungen nach einer gefestigten Machtsphäre begnügen sollte. Präsident Biden und die EU handeln richtig, wenn sie sich um Verhandlungen bemühen und gleichzeitig mit schwerwiegenden Konsequenzen drohen, falls Panzer rollen sollten."
Aber europäische Kriege sind schon wegen kleinerer Bluffs ausgebrochen, und der russische Aufmarsch entlang der ukrainischen Grenze im vergangenen Monat ist weitaus größer und bedrohlicher als jedes Säbelrasseln in der Vergangenheit. Für Nachlässigkeit des Westens ist hier kein Platz. Putin sollte kein Raum für Illusionen gegeben werden: Der Westen würde jedes weitere militärische Vordringen als eine weitaus größere Verletzung internationaler Normen betrachten als die Annexion der Krim oder die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine."
"De Telegraaf" (Amsterdam): "Die Russen fordern den Rückzug von Truppen und Material der Nato aus 14 Ländern Mittel- und Osteuropas, die seit 1997 Mitglied des Bündnisses geworden sind. Zudem darf sich die Nato, wenn es nach Russland geht, insgesamt nicht weiter ausbreiten, womit auch Länder wie Schweden und Finnland gemeint sind. Diese maßlosen Forderungen gehen einher mit der Drohung eines "militärtechnischen" Eingreifens zur Herstellung des "strategischen Gleichgewichts". Russlands Vize-Außenminister hat die Situation gar mit jener im Vorfeld der Kubakrise von 1962 verglichen, als die Welt auf einen Atomkrieg zuzusteuern schien. Präsident Putin ist auf eine Neuverteilung der Einflusssphären in Europa aus und er versucht, die Geschichte zurückdrehen, indem die bestehende Sicherheitsordnung verworfen wird. Das ist für den Westen schlichtweg nicht hinnehmbar. Und der Kreml weiß das auch. Dass er dennoch derart aggressiv und kompromisslos vorgeht, ist bedrohlich und außerordentlich riskant."
"Moskaus Vorschläge sind nicht akzeptabel"
"La Repubblica" (Rom): "In den Beziehungen zwischen dem Westen und Russland beginnt eine entscheidende Woche. (...) Das bilaterale Gespräch mit Washington ist das, was Putin, der im vergangenen Dezember seine Vorschläge für einen Doppelvertrag mit den USA und der Nato offengelegt hat, wirklich interessiert. Der Kreml-Führer ging zunächst mit einem klassischen Instrumentenmix vor. Einerseits mit militärischer Abschreckung, durch mehr als 100.000 Soldaten wenige Dutzend Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, die nur teilweise demobilisiert wurden. Dann mit dem Angebot eines Verhandlungspakets. Wenn Putin so von Biden den Status des primären Gesprächspartners erlangt hat, ändert sich der Kern des Problems nicht: Moskaus Vorschläge sind nicht akzeptabel, weder für die USA noch für die Nato noch für die Europäer insgesamt, egal wie gespalten sie auch immer im Umgang mit dem Russlandproblem sein mögen."
"Hospodarske noviny" (Prag): "Die westlichen Verbündeten müssen Moskau klar zu verstehen geben, dass die Forderungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin unannehmbar sind. Denn die Nachbarn Russlands, in diesem Fall besonders die Ukraine, haben das volle Recht, ihre Freiheit zu verteidigen und selbst zu entscheiden, mit wem sie Bündnisse eingehen wollen. Am besten kann sich die Nato den russischen Machtansprüchen entgegenstellen, indem sie selbst politische Einheit demonstriert. Doch nun will der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz einen Neuanfang in den Beziehungen mit Russland. Das ist genau die Art von Vorgehensweise und Rhetorik, welche die russische Diplomatie zu ihren Gunsten nutzen kann, um die Bündnispartner auseinanderzudividieren."
"De Tijd" (Brüssel): "Russlands Staatschef wirft dem Westen vor, er habe in den 1990er-Jahren sowie Anfang dieses Jahrtausends auf aggressive Weise weite Teile Europas an sich gerissen und unter den Nato-Schutzschirm gestellt. Und zwar entgegen früherer Absprachen. Putin will kein einziges Stück Boden mehr verlieren. Er fühlt sich bedroht durch die Nato, die immer näher an seine Grenzen heranrückt. In den kommenden Tagen scheint keinerlei Durchbruch in Sicht zu sein. Die amerikanisch-russischen Gespräche stecken in einer Sackgasse. Moskau erklärt, wenig Hoffnung für einen guten Verlauf zu haben, und gab zu verstehen, dass die Verhandlungen bereits nach einer Runde beendet sein könnten. Die USA wiederum warnten vor einer “Strategie der Konfrontation“. (...) Solange die Einflusssphären der Beteiligten nicht klar umrissen sind, gibt es potenzielle Konfliktzonen. Dafür muss unweigerlich eine Lösung gefunden werden. Und zwar in jedem Fall unter der Voraussetzung, dass Russland die Ukraine nicht überfällt."
"Rossijskaja Gaseta" (Moskau): "Weder Einschätzungen westlicher Medien noch Äußerungen von Offiziellen vor dem Gespräch geben Anlass zum Optimismus. Die Gründe liegen auf der Hand. Erstens bietet das geopolitisch zu weit gefasste Thema der Konsultationen, das viele verschiedene Elemente umfasst und die Interessen einer beträchtlichen Anzahl internationaler Akteure berührt, nicht die geringste Möglichkeit für schnelle außenpolitische Entscheidungen. Washington hat wiederholt betont, dass es bei jedem Schritt der Verhandlungen mit Moskau eine Vielzahl von 'Zensoren' im In- und Ausland kontaktieren will. Zweitens strebt Washington laut den Stellungnahmen, die vor den Genfer Konsultationen abgegeben wurden, keine rechtsverbindlichen Dokumente an."
Deutsche Pressestimmen
"Frankfurter Rundschau": "Es ist kein ermunterndes Zeichen, wenn die USA und Russland vor den geplanten Gesprächen in Genf zum Ukraine-Konflikt nahezu ausschließen, Zugeständnisse zu machen. Offensichtlich sind sie sich vor dem bilateralen Treffen in keinem der zahlreichen strittigen Punkte nähergekommen. Aus der Woche der Wahrheit mit den zusätzlichen Treffen des Nato-Russland-Rats sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird wohl bestenfalls ein Auftakt für langwierige Verhandlungen. Das ist nicht überraschend. Schließlich ist die Liste der Probleme lang. Sie reicht von der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland über den Krieg im Osten der Ukraine und den russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine bis zu Moskaus Forderungen nach Sicherheitsgarantien durch die Nato und den Stopp deren Osterweiterung. Schwerer wiegt, dass beide Seiten sich nicht mehr vertrauen und sich weiter gegenseitig Vorwürfe machen. Das sind keine guten Nachrichten."
"Es geht um Krieg und Frieden"
"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle): "Klar ist zudem, dass eine wie auch immer geartete Invasion russischer Truppen in der Ukraine das Ost-West-Verhältnis für lange Zeit auf die Tiefsttemperaturen des Kalten Krieges abkühlen würde. Es geht also um Krieg und Frieden, wenn sich in den kommenden Tagen Abgesandte aus Ost und West in Genf, Brüssel und Wien zu Gesprächen über eine Deeskalation treffen. Vor Beginn dieser "Woche der Wahrheit" scheinen die Positionen beider Seiten allerdings unvereinbar zu sein. Der russische Präsident Wladimir Putin fordert ein ultimatives Ende der Nato-Osterweiterungen. Eine solche Garantie wird es jedoch nicht geben. Schließlich gehört die freie Bündniswahl zum Kernbestand des westlichen Wertesystems. Die USA wiederum gehen mit einem vergifteten Angebot in die Gespräche. Sie schlagen vor, dass beide Seiten weniger Manöver in der Region abhalten und dort weniger Raketen stationieren. Unter dem Strich würde das vor allem Russland zu Einschränkungen zwingen. In Moskau zeigte man sich bereits enttäuscht. So kann es nicht funktionieren."
"Dithmarscher Landeszeitung" (Heide): "Die Konfliktlinie innerhalb der Ukraine verläuft zwischen einem westlich orientierten, kirchlich unierten, das heißt die Autorität des Papstes anerkennenden und ukrainisch sprechenden westlichen Teil und einem überwiegend russisch sprechenden, orthodoxen und mehrheitlich gen Russland blickenden östlichen Teil. Dürften alle Bürger abstimmen, wäre eine Aufspaltung vermutlich die logische Folge. Steht der Westen zu seinen Werten, dann muss er für eine freie Volksabstimmung werben und deren Ergebnis akzeptieren – ein Zug, der Moskau stärker als alle bisherigen Versuche unter Druck setzen dürfte."
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